Das ist die nicht nur traurige Geschichte von den gejagten Schafen. Und so fing alles an.

„Morgen ist ein neuer Tag“ sagen wir, wenn alles schief gelaufen ist. Könnte man den heutigen Tag in Untertage, wie Untergruppen teilen, so würde ich jetzt einen neuen Tag anfangen. Alles nochmals von Neuem beginnen. Frühstück zubereiten, Cappuccino trinken, Feuer entfachen, Hunde füttern und so tun, als ob es den Tag davor gar nicht gegeben hätte. Nicht ich bin mit dem linken Bein aufgestanden, es war der Tag, der alles in sich barg, wofür man ihn zum Vergessen möchte.

Beim ersten Tageslicht schaute ich aus dem Fenster, um den Tag freudig zu begrüssen. Wie jeden Morgen blickte ich neugierig über die paddocks (Weiden). Was ich sah, gefiel mir nicht. Ganz nahe beim Wassertrog der Schafweide vor meinem Zimmer lag ein totes Schaf. Es war nicht das erste in den letzten Wochen. Gehäuft hatten sie in den vergangen Tagen tot auf der Weide gelegen, was wir auf eine Wurmerkrankung mit Durchfall zurückführten. Diese Sorge begleitete uns seit Weihnachten. Dreihundert Mutterschafe mit ihren Jungen grasen täglich genüsslich auf den noch saftigen Wiesen und mittendrin stolziert ein Lama. Ein Lama kann man aber nicht essen, werdet ihr sagen. Aber ein Lama in der Herde hält den gierigen Fuchs auf Distanz, habe ich mir erklären lassen.

Heute morgen also schaue ich genauer aus dem Fenster, bemerke die verängstige Herde im Laufschritt am Cottage vorbeirennen. Ich frage mich wohin? Sie rennen in eine Ecke mit geschlossenen Gattern. Kaum drehe mich um, sehe ich zwei grosse wunderschöne zottelige Schäferhunde die Schafe treiben. Barbara, meine Schwester hat bereits das Haus verlassen, so dass ich sie nicht fragen kann, ob die Hunde dem Besitzer der Herde gehören, und er die Tiere zur Entwurmung zusammentreiben soll. Ich bezweifle jedoch diese Theorie, denn weit und breit sehe ich kein Auto und keine dazugehörenden Menschen. Panik herrscht in der Herde, die Lämmer werden zum Teil von den Müttern getrennt, das kleine Hunderudel stürmt dazwischen und jagt die verängstigten Tiere umher. Plötzlich stürzt das dunkelbraune, grosse Lama. Ich renne hinaus und schreie die Hunde an. Sie verlassen das Grundstück und allmählich kehrt Ruhe ein.
Blitzartig ist mir die Ursache der toten Schafe bewusst. Wildernde Hunde haben sie gemetzelt. Während ich mit Schrecken an das Lama und die leidenden Tiere denke, sehe ich von weither erneut das Hundepack. Was tun? Barbara ist nicht erreichbar, die Gärtner, erfahrene Farmer, die zum Glück jeden Mittwoch frühmorgens kommen, treffen erst in einer Viertelstunde ein und so versuche ich die Herde zu bewachen. Aus der Küche hole ich zwei Pfannendeckel und warte bis die Hunde sich wieder nähern. Ich lärme und schreie die Viecher an. Wieder kann ich sie vertreiben. Aber leider erst nachdem sie erfolgreich ein Lämpchen eingekreist, gebissen und geschüttelt haben. Ehrlich gesagt, in diesem Moment, hätte ich ein Gewehr gehabt und auch schiessen können, hätte ich die Hunde erschossen. Zumindest hatten meine Pfannendeckel und mein Geschrei für eine kurze Weile für Beruhigung gesorgt. Nicht nur die Hunde sind erschrocken, sondern auch die bereits eingeschüchterten Schafe.
Die herumliegenden toten und verletzten Schafe auf der Weide waren ein trauriger Anblick. Ich wachte und wartete auf Verstärkung, die mit John und seinen Männern schon bald kam. Er schaute sich alles an, ging über die Wiesen zum grossen Zaun hinunter und entdeckte die lauernden Hunde, die im unteren Teil des Feldes weitere vier Lämmer und zwei Mutterschafe gerissen hatten. Er nahm seine Waffe, erschoss den ersten Hund und rief den Ranger an, der kurz darauf zur Stelle war.

Nachdem John übernommen hatte, machte ich mich auf den Weg ins Dorf, um den Znüni für die Männer zu holen. Heute musste ich den halbstündigen Marsch zu Fuss machen, da letzte Woche beide Autos kaputt gegangen waren. Schon bald nach dem Verlassen des Hauses fiel ich in einen leichten Jogging Rhythmus. Die erlösenden und erholsamen Bewegungen trieben den morgendlichen Stress aus meinem Körper. Nach einer Weile verlangsamte ich und genoss den Moment über das Erlebte nachdenken zu können. Als ich eine Stunde später wieder auf der Farm eintraf, herrschte noch immer grosse Aufregung, denn nun war auch der zweite Hund und deren Eigentümer ausfindig gemacht worden. Glücklicherweise trug der erschossene Hund ein Halsband, welches ihm John als Beweisstück abgenommen hatte. Der Ranger kümmerte sich um das Formelle, übernahm die unangenehme Aufgabe die Besitzer der Hunde zu kontaktieren.

Der grössere Hund war nach der Erschiessung seines Kumpels nach Hause zurückgekehrt. Auf Anraten des Rangers, der von noch viel mehr gerissenen Schafen in der nahen Gegend erzählte, willigte die Besitzerin ein, den zweiten Hund einschläfern zu lassen. Hat ein solches Tier Blut geleckt, wird ihn niemand davon abhalten können, es immer wieder zu tun. Hier in Australien sind wildernde Hunderudel leider ein häufiges Problem. Das Tragische an unserer Geschichte war, dass beide Hunde in Obhut der Schwiegermutter waren, während die eigentlichen Besitzer in den Ferien weilten. Sie hatte sie im Haus nicht unter Kontrolle und deren nächtliches Verschwinden nicht gemeldet. Dennoch können Barbara und ich mit den Eigentümern mitfühlen, die bei ihrer Heimkehr erstmals den Verlust gleich beider Hunde erfahren müssen.
Natur ist Natur mit allem Schönem und Grausamen. Hunde sind Jagdtiere und folgen ihren Instinkten. Fressen und Gefressen werden sind Teil unseres Lebens. So hat uns das Gemetzel auch ein unheimlich eindrückliches Erlebnis beschert.

Als wir gestern vom Dorf heimkehrten, bemerkte ich mitten auf der Weide zwei ungewöhnlich grosse Vögel. Einer sass einer Statue ähnlich auf einem Zaunpfosten und der andere schien am Boden auf etwas einzuschlagen. Kein Zweifel, er sass auf einem toten Lamm und schnitt sich Fleischstücke aus dessen Flanken. Ein grausames, aber auch faszinierendes Schauspiel. Während wir uns leise heranschlichen, konnten wir diesem Furcht einflössenden, kräftigen Vogel bei seiner Mahlzeit zuschauen. Seine gefährlichen Klauen an lustig gefiederten Beinen, krallten sich kraftvoll ins Fleisch, dabei schlug sein scharfer Hackenschnabel ins Fleisch und riss daran, bis einiges davon loskam. Aufgeschreckt durch unser Heranschleichen, erhob er sich in die Luft, noch immer festhaltend an seinem Stück Fleisch. Dabei schlug er mit seinen gewaltigen Schwingen, so dass wir beinahe den Wind spüren konnten. Schnell war er hoch geflogen. Erst da konnten wir die wunderbaren braunen Farbentöne seines Gefieders bewundern, seinen keilförmigen Schwanz betrachten und natürlich ihn auf seinem Flug verfolgen. Der andere, etwas kleinere Vogel blieb noch sitzen. Auch er wollte sich holen, was ihm gebührte. Einzig die menschlichen Geräusche hinderten ihn und so flog auch er davon.
Welch prachtvolle, majestätische Raubvögel waren zu diesem Kaisermahl herbeigelockt worden. Das Schaf war zur Nahrung geworden und hatte uns einen selten nahen Blick auf zwei Wedge Tailed Eagles, wedgies genannt, erlaubt. Ein unvergessliches Geschenk.