Good bye Australia und Menschen Geschichten

Good bye Australia und Menschen Geschichten

Ungeduscht und halb angezogen, stürze ich noch in der Dunkelheit aus der Kabine, eile den langen Kabinengang entlang zum vorderen Treppenhaus, erklimme zwei Tritte aufs Mal und eile zur Reling hin. Sonnenaufgang vor Darwin. Noch ist der Himmel tiefes Königsblau mit kräftigen rotvioletten Streifen und Flecken, Feuerflammen züngeln in den Tag und zuoberst brilliert die Venus. Der Himmel ist dramatisch, theatralisch dieser Tagesanbruch, denn er ist mein letzter in Australien.

Menschen

Es sind erst die Menschen, die eine Kreuzfahrt zu dem machen, was es ist. Ohne sie wäre es eine blosse Naturdurchquerung von A nach B. Dass mein Einstieg diesbezüglich nicht ganz reibungslos war, hatte ich ja schon erwähnt. Wie ging es weiter, werden Sie sich fragen. Nach ein paar See Tagen und Landausflügen, gemeinsamen Nachtessen, Gesprächen auf den Gängen und am Buffet, schälen sich aus „den Menschen“ einzelne Individuen heraus, es werden Persönlichkeiten mit Gesichtern und Geschichten. Auf dieser Schiffsreise verhält es sich mit den Begegnungen so wie mit den Kurzbesuchen bei Land und Leuten. Man unternimmt eine kleine Exkursion, wirft einen knappen Augenschein und segelt bereits wieder aufs Meer hinaus. Die Begegnungen mit anderen Gästen sind flüchtige Einblicke, kleine Erlebnisse, die in Erinnerung bleiben. Die kostbaren Momente entwickeln sich oft aus unverhofften, vielleicht sogar vorerst störenden Begegnungen.

Bei einem Kännchen Tee, vertieft in meine Geschichte, will ich ungestört weiterlesen, als ein älterer Herr sich zu mir setzen möchte. Obwohl der Stuhl für meine Schwester bereit steht, die zweite Tasse eingeschenkt ist, bringe ich es nicht fertig, den schlanken, gepflegten Mitreisenden abzuweisen, denn genau das Spontane, Unverhoffte macht diesen Augenblick besonders. Man legt eine gemeinsame Wegstrecke zurück und nimmt damit gerne auch Anteil. Sein bald neunzig-jähriges, weiches Gesicht strahlt Offenheit und Neugier aus.

Er beginnt aus seinem Leben zu erzählen. Das Gehör lässt zu wünschen übrig, umso besonnener sind seine Offenbarungen. Gerührt und demütig drückt er Dankbarkeit aus für jeden gelebten Tag. Sein Berufsleben hat er als leitender Angestellter in einer grossen Schmiedewerkstatt in der damaligen DDR verbracht, wurde bei der Wende pensioniert, pflegte lange seine Frau und verlor sie vor vier Jahren. Und dann stand er da, allein, mit weit über Achtzig, als eines Tages eine Broschüre von dieser Weltreise ins Haus flatterte. Von Barcelona nach Barcelona. Noch einmal wollte er etwas von der Welt sehen, wollte weggehen vom armseligen Dorf, in dem er noch immer wohnt, aus dem die ostdeutsche Industrie und die jungen Leute weggezogen sind. Erst war es ein Traum und dann ein von langer Hand geplanter Aufbruch. Die Söhne sind bereits alte Männer, die Enkel sind erwachsen mit eigenen Familien. Sein Häuschen übergab er einer treuen Nachbarin zur Betreuung, die Post meldete er ab. Noch einmal musste er die Reise um ein Jahr verschieben, denn er wollte noch sein Knie ersetzen, ein Herzschrittmacher musste eingebaut werden, die  Augen operiert und dann endlich war er bereit. In einfühlsamen, ausführlichen Details berichtet er von Formalitäten, Visen, Impfungen und vom erstmaligen Einrichten einer Kreditkarte.

Kurz und knapp fügt der sanfte, feine Herr an: „Ich schloss mein Haus und habe den Schlüssel meiner Nachbarin gegeben. Dann habe ich meinen Kindern noch Weihnachtsgeschenke vorbeigebracht. Die Zeitung habe ich abbestellt und bin abgereist.“ Er hat kein Email, keine Adresse jetzt, schreibt keine Karten, keine Grüsse, denn er ist weg. Seiner Familie sagte er: „Im Frühling komm ich wieder. Mal sehen, was dann ist.“ Dabei strahlt er. „Noch einmal die Welt sehen, von Afrika, über Süd-Amerika nach Australien, Asien, und dann zurück durch den Suezkanal ins Mittelmeer.“

Als er uns erzählt, wie er ein älteres Künstlerpaar wiedertrifft, das ihn ein Leben lang am Fernsehen und auf der Bühne begleitet hat, füllen dicke Tränen seine Augen. Sie gehörten zur wechselnden Künstlertruppe, die täglich für Bordunterhaltung sorgen. Der Kapitän hat ihm eine stündige Begegnung ermöglicht. Auch das ein Traum, der sich für ihn verwirklicht hat.

Er berichtet von seiner Routine, Disziplin hier an Bord und von seinen Glücksmomenten. Besonders wenn er sich in den immer gleichen Sessel neben den Oceanpianisten setzt und einfach zuhört, denn auch er spielte einst Geige. Dabei lächelt er und geniesst sein Leben hier auf dem Schiff.

Weitere kleine Geschichten

Mr Mac hält als Weltreisender alle Reiseetappen akribisch und mit Hingabe in seinem MacBook Air auf Fotos, Ton und Videos fest. Dies schien uns zu verbinden und so erzählte er beim Nachtessen seine durchaus interessanten Erfahrungen an Bord, mit unter auch technische Massnahmen, die er ergriffen hatte. Zum Beispiel erfand er eine besondere Konstruktion mit Hängevorrichtung an der Airconditioning, in die er tropfnasse Frotteetücher einlegte. Dank eines Spezialmessgerätes aus der Schweiz, wie er betonte, überlistete er somit die gesundheitsschädigende Trockenheit in seiner Kabine während den geheizten Reiseabschnitten. Seine Frau und er hatten zwei Probereisen unternommen, bevor sie sich auf die Weltumrundung begaben und erste Erfahrungen umgesetzt. Das war interessant und aufschlussreich.

Mr Softly, ist ein schlanker, rüstiger achtzig jähriger Alleinreisender, stets korrekt gekleidet, spricht mit sanfter, gütiger Stimme und freut sich über nette Tischgespräche. Gelegentlich isst er an einem Zweiertischchen mit Madam Dickbrille, die ihn jedoch mit ihren lauten, exzentrischen Erzählungen erdrückt. Beim Verlassen des Speisesaals flattert die ebenso betagte, modisch gekleidete Dame von Tisch zu Tisch, hält überall ein Schwätzchen, während unser Mr Softly geduldig, lächelnd am Ausgang steht. Anderntags ist er meist allein unterwegs. Ein netter Herr.

Zwei Schnepfen, sitzen am Empfang. Belehrend, rechthaberisch hocken sie gebieterisch hinter der Theke wie Hühner auf der Hühnerstange. Wir haben gelernt, sie zu vermeiden, denn alle anderen Mitarbeitenden sind zuvorkommend, täglich gut gelaunt und herzlich. Eine Freude.

Mr und Mrs Chamäleon. Wenn kein Tisch frei ist, setzen wir uns zu anderen Gästen. Nach der Begrüssung tauscht man die Reiseroute aus, fährt die Fühler nach der gegenseitigen Befindlichkeit aus und erst dann lässt man sich auf ein Gespräch ein. Mr Chamäleon ist über sechzig, rundlich, etwas verlebt, hat eine weisse Löwenmähne und einen grossen Schalk im Gesicht. Im wirklichen Leben war er Professor. Schon bald lernen wir die etwas reservierte Art der Frau zu verstehen, denn als sie uns ihre komödienhaften Reisegeschichten erzählen, ist kein Halten mehr vor Lachen. Während er jeweils in immer neue Rollen schlüpft und alle Menschen zum Narren hält, ob als Reisepsychologe, Herzensbrecher und Spitzenkoch, versucht seine Frau die ausufernde Fantasie ihres Mannes zu bändigen. Es war so ein vergnügliches Frühstück. Was ist er nun wirklich? Auch das werden wir nie erfahren.

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