3. Eine ungeplante Ostergeschichte – Zu Fuss von Steckborn nach Stein am Rhein

3. Eine ungeplante Ostergeschichte – Zu Fuss von Steckborn nach Stein am Rhein

Leinen los! Die Schifffahrt Saison hat gestartet. Was mich allerdings reichlich verwirrte, als ich frühmorgens zwei Wochen vor Ostern im Güterhof zum ersten Kaffee eintraf, war das fehlende Kursschiff. Pünktlich jedoch zur Abreisezeit näherte sich die „Thurgau“ von der Werft , unter der Eisenbrücke hindurch, zur Anlegestelle. Und nun sitze ich gemütlich und genüsslich beim Schiffers Frühstück, während das Schiff sich langsam den Rhein hoch stemmt.

Wohin mich die Motoren fahren werden, weiss ich heute noch nicht. Ich möchte schreiben, fotografieren, staunen und geniessen. Irgendwo aussteigen und mich auf den Sohlen Richtung Schaffhausen zurück tragen lassen.

Vorerst staune ich über die wunderschöne Landschaft, das milde Morgenlicht im leicht verhangenen Himmel. Noch ist die Sonne verschleiert und lässt den frischen, grünen Frühlingswald nur zart durchschimmern. Dann fahren wir den Häuserzeilen des Rheinquais entlang und bestaunen die blumenbehangenen Balkone und Terrassen. Lila Glyzinien klettern Hausfassaden hoch, während in den Vorgärten fleissig gewerkelt wird. Es ist Samstagmorgen. Noch immer ist das Leben auf dem Rhein den brütenden Schwänen und quirligen Taucherlis vorbehalten. Letzte Bodenseemöwen sitzen auf den kräftigen Pfählen, derweil Schiffsbesitzer ihre Weidlinge und Schiffe reinigen, malen und einwässern. Alles bereitet sich auf die warme Jahreshälfte vor.

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Das Rheinufer oberhalb Büsingen, der Deutschen Enklave, ist kürzlich weitläufig renaturiert worden. Eine natürlich gestaltete Uferböschung mit Trauerweiden, Buchen und wilden Kirschbäumen spendet im Sommer Schatten. Umgestürzte Bäume geben Fischen und Enten Unterschlupf und einzelne, ausladend gebaute Schwanenhochburgen werden von sanften Schiffswellen umspült. „Warum baut ihr eure Nester nicht höher rauf?“ frage ich sie, denn irgendwann wird das Hochwasser alles wegspülen. Ein Wettlauf der Zeit. Es ist erfreulich zu sehen, welche Anstrengungen gemacht wurden, zur Erhaltung der reichen Uferlandschaft.

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Vor der Einfahrt nach Diessenhofen, einem mittelalterlich erhaltenen Städtchen, geniessen die wenigen Passagiere den Blick auf das erwachende, idyllisch direkt am Rhein gelegene St. Katharinental, ein ehemaliges Kloster und heutige Klinik für Rehabilitationen. Das malerische Grenzstädtchen Diessenhofen verlassend, fahren wir unter der geschlossenen Holzbrücke hindurch. Noch ist der Wasserstand weder zu gering noch zu hoch, um die Durchfahrt zu verhindern.

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Je näher wir zu Stein am Rhein kommen, desto breiter und ausladender gestaltet sich die Flusslandschaft. Viele Schifffahrtszeichen, genannt Wiffen, geben dem Kursschiff den sicheren Weg vor und verhindern das Auffahren auf Steinbänken mitten im Fluss. Die Mäanderreise führt vom rechten zum linken, vom Deutschen zum Schweizer Ufer, vorbei an Stränden, Feuerstellen, Kapellen und wunderschönen Sitzplätzen. Beim Einlaufen in Stein am Rhein läuten die Glocken elf Uhr.

Von Steckborn nach Klingenzell

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Ich steige in Steckborn aus und mache mich gleich auf den Weg, der oberhalb des Sees durch blühende Obstplantagen, an ausschlagenden Buchenwaldrändern vorbei, steile Böschungen rauf und runter und immer wieder offenbaren sich wunderbare Ausblicke auf den See.

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Oberhalb Mammern stosse ich auf die Neuenburg, die bedeutendste Burganlage am Untersee, deren Ruine noch weitherum sichtbar ist. Es ist ein Höhenweg in blühenden Löwenzahnfeldern, vorbei an herrschaftlichen Riegelhäusern und schlossähnlichen Prachtbauten. Alles ist gepflegt und jedes Bänklein lädt zum Verweilen ein. Kein Wunder brauche ich länger als geplant für diese Etappe.

Bald ist Ostern

Dann erlebte ich etwas, was ich nie vergessen werde. Es liess mich an Lourdes, an die schwarze Madonna von Einsiedeln, an Wunder, Magie und heilende Kräfte denken. Ich näherte mich langsam dem Ende des Untersees, der Himmel verdunkelte sich, der Wald wurde dichter, die Wege rutschiger und irgendwann säumten bronzene Tafeln unverhofft den Waldweg, der mich noch tiefer in den Wald entführte. Es war düster und unheimlich. Die Tafeln, die den Leidensweg von Jesus erzählen, liessen mich, so kurz vor Ostern, und als christlich nicht sehr gebildet, sie genauer betrachten. Sie leiteten zu einer Grotte hin. Später erfuhr ich, dass es sich um die kleine Lourdes-Grotte bei Klingenzell handelt. Schwarz war der Himmel, schwanger mit Naturgewalt und Unvorsehbarem.

Ein heftiges Gewitter mit Donner und gewaltigen Regengüssen entleerte just als ich in die aus Felsen und Steinen einer früheren Kirche geformten Höhle eintrat. Gefangen mitten im Wald, von Rottannen und Ruhebänkchen umgeben und abgeschirmt vom kreuzförmig angelegten, bemoosten Brunnenbecken, spürte ich die Kraft dieses besonderen Ortes. Wäre dieser Wolkenbruch nicht gewesen, wäre ich nicht stehengeblieben und hätte somit den Ort verpasst, die Magie und Spiritualität dieses Augenblickes. Da gab es etwas, das mich zum Innehalten gezwungen hatte, mich hineindrängte hatte in diese von Kerzen beleuchteten Grotte. Der prasselnde Regen verhängte einen Vorhang vor die Höhle und ich verharrte mit Lola gebannt. Ich fühlte keine Angst, denn ich war geborgen und beschützt.

Kaum merklich wurde es heller, stiller und plötzlich brach greller Sonnenschein in die Dunkelheit ein. Irgendwo müsste ein Regenbogen sein. Aber ich sah ihn nicht. Alles glänzte im Nass und einzelne Strahlen erleuchteten den Altar und liessen die vom Höhlenrand herabfallenden Tropfen wie Swarovski-Kristalle im Regenbogenlicht explodieren. Auf dem Altar lagen weisse Kieselsteine. Madonnen aus Ton, Holz und Eisen standen verteilt darauf. Während letzte Tropfen auf dem Teichlein absprangen, spiegelte sich der nunmehr blaue Himmel hinter den Tannen im dunklen Wasser. Rundherum waren liebevoll Frühlingsblumen eingepflanzt.

Was ich hier erlebt hatte, hat sich mir unwiderruflich eingeprägt. Ist es Segen, Fügung oder Schicksal? Es ist Glück im richtigen Moment am richtigen Ort zu sein und diesen auch zu erkennen. Mein Glück.

Heute ist Ostersonntag. In der Zeitung lese ich einen langen Artikel genau über diesen Kreuzweg bei der Kapelle Klingenzell und dessen Bedeutung.

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2 Gedanken zu „3. Eine ungeplante Ostergeschichte – Zu Fuss von Steckborn nach Stein am Rhein

  • April 20, 2014 um 10:06 am Uhr
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    Wie wunderbar, deine Vor-Osterreise mit den einmaligen Erlebnissen, vielen Dank, dass du uns daran teilhaben lässt! Ist es Zufall, dass ich am Ostersamstag deinen Buchtipp „die Bienenhüterin“ gelesen, genossen, habe? Ein wundervolles Buch voller schwarzer Madonnen…
    Herzlich, Anne

    Antwort
    • April 20, 2014 um 6:15 pm Uhr
      Permalink

      Liebe Anne
      Kaum hatte ich die Geschichte raufgeladen, kam Deine Antwort. Danke vielmals. Tatsächlich haben mich die schwarzen Madonnen auch fasziniert. Es scheint viele davon zu geben. Liebe Grüsse Verena

      Antwort

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