AMRUM–Eine nächtliche Wattwanderung

AMRUM–Eine nächtliche Wattwanderung

Auf und davon, raus und ganz weit weg. Ich wollte mich durchpusten lassen, einfach ich sein und treiben lassen. Dazu brauch ich nicht mehr als ein VW Camper mit dem bequemsten Bett der Welt unterm Sternen, oder Wolkenhimmel und ganz viel Weite rundherum. Seit zehn Tagen lebe ich in den Dünen auf dem Campingplatz von Amrum. Soll ich erst vom weiten, bewegten Himmel oder doch vom unendlichen Kniepsand erzählen? 

DIE INSEL

Als ich vor einem Jahr mit der Familie auf Sylt Ferien machte, hörte ich immer wieder begeisterte Berichte über die Nachbarinsel, Amrum. Amrum ist eine Nordfriesische Insel und liegt im Wattenmeer der Nordsee. Sie ist geschützt von einem dicken, halbmondförmigen Sandstrand, dem breitesten, zusammenhängenden Sandstrand Europas. Die Schutzgebiete in der einmaligen Dünenlandschaft mit Vogelreservaten, den breiten und Kilometer langen weissen Stränden sind mein Wohnzimmer, der Blick durchs Fernglas mein TV Gerät, die Sonne meine Heizung und der Wind sorgt für Ordnung und Klarheit.

 Morgens begrüssen mich süsse Kaninchen, bunte Fasanen, Sturm- und ganz schön grosse Heringsmöwen. Der Strandhafer, hält die Dünen zusammen und bewegt sich im kräftigen Wind, während der weisse Sand Muster in die Landschaft zaubert. Wie liebe ich diese Ruhe und absolute Stille. Das Gekreische der Möwen auf meinem Dach ist da willkommene Ausnahme.

Nach den heissen Tagen der ersten Woche hat sich jetzt das typische Nordseewetter eingelassen. Mit Kapuzenpulli spaziere ich morgens die zwei Kilometer über Holzstege zu meinem Latte Macchiato nach Wittdün. Die Bohlenwege durchziehen die Dünenlandschaft zur Schonung des Schutzgebietes. Überall stehen erklärende Tafeln zu Flora und Fauna. Mit meinem Fernglas ausgerüstet und viel Musse, beobachte ich die ersten Möwenkücken, die unter den Fittichen der aufmerksamen Eltern in den Sandkuhlen herumhüpfen. Es ist die Zeit der Jungtiere.

WATTWANDERUNG IN DER NACHT

«Da muss ich dabei sein!» dachte ich mir als ich über diese Nacht-Wattwanderung von Amrum zur Nachbarinsel Föhr las. Es war ein eindrücklicher Höhepunkt meiner ersten Woche. Die Exkursionen von Insel zu Insel dürfen nur unter kundiger Führung gemacht werden, denn die Gefahren sind gross.

Um zwei Uhr morgens brummte der Wecker. Erst musste ich den Bus fahrtüchtig machen, kurz frühstücken, warm anziehen und sechs Kilometer ans andere Ende der Insel nach Norddorf fahren. Um drei Uhr trafen sich siebzehn Abenteurer beim «Standläufer» Laden. Zum Glück hatte ich tags zuvor den Weg rekognosziert, denn die mondleere Nacht war gespengstig. Erst marschierten wir strammen Schrittes durch verschlafene Gassen. Flüstern war erlaubt. Wir waren andächtig einer Sonnenaufgang Prozession gleich unterwegs. Die erste Stunde führte durch Salzwiesen. Diese Felder werden unregelmässig von Sturmfluten überschwemmt und somit mit Salz getränkt. Das saftige Grün ist ein Paradies für speziell angepasste Pflanzen, einzigartige Insekten und Vögel. Sie haben gelernt mit dem Salzgehalt klar zu kommen. Wie sie dies tun, erklärte Dark Blome, unser kundiger Wattführer, ein Inselkind aus Amrum. Überhaupt erzählte er unglaublich viel Wissenswertes zu Natur und Kultur. Wir spürten die zwanzigjährige Erfahrung und die vielen Weiterbildungen, wie er immer wieder betonte.

Nach einer Stunde erreichten wir den Rand des Watts. «Schuhe aus und Hosen hochkrempeln», hiess es. Dark Blome erzählte über die Kräfte von Mond und Sonne, die für Ebbe und Flut verantwortlich sind und zeichnete einfache Karten über die Örtlichkeiten unserer Wanderung in den feuchten Sand. Wir wanderten barfuss weiter über feinen, nassen Sand auf ungewohnten Sandwellen. Meine Fusssohlen beklagten sich. Noch war es dunkel und doch erahnten wir den neuen Tag. Das Wolkenbild nahm erste rote Schimmer auf. «Dieser Wasserlauf nennt sich Priel», erklärte Dark Blome, «Das Wasser bleibt bei Ebbe darin liegen. Bei abziehenden oder einfliessenden Gezeiten können diese jedoch zu reissenden Flüssen werden. Seid vorsichtig und nicht übermütig.» Als das Wasser die Mitte Oberschenkel erreichte, hatten wir die Warnung verstanden. Alles war unheimlich und prickelnd. Bald kam die nächste Warnung. Wir sollten sehr vorsichtig gehen, denn in diesem Strandabschnitt graben sich Rasierklingen- scharfe Austern im Sand ein, so dass deren Muschelrand kaum sichtbar ist und tiefe Schnittwunden verursachen kann. «Schaut auf den Boden und bleibt stehen wenn ihr die Wolken betrachten wollt.» Es sind importierte pazifische Austern, denn die Europäischen seien leider ausgestorben. Ein willkommener Zuzüger.

Die Wanderung zieht sich, die Füsse ächzen der ungewohnten Bewegungen wegen. Die Küste von Föhr ist nah und der Sonnenaufgang zwischen den Inseln Sylt, Föhr und Amrum sehr eindrücklich. Die unendliche Weite, der Himmel und die Stille bleiben unvergesslich. Wir wandern, sprechen wenig, betrachten die Küsten und staunen. So ein schöner Tagesbeginn.

Nach dreieinhalb Stunden erreichen wir das Ziel. Ein Bus fährt uns nach Wiek, dem hübschen Hauptort von Föhr, wo auch die Fähre nach Amrum zurückfährt.

12 Gedanken zu „AMRUM–Eine nächtliche Wattwanderung

  • Juni 13, 2018 um 8:52 pm Uhr
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    Liebe Verena, da bist du nun auf unserer Lieblingsinsel Amrum angekommen; uns hätte sie beinahenie mehr losgelassen und wir kommen auch wieder. Geniesse deine erlebnisreiche Auszeit…
    herzliche Grüsse aus Schleitheim – Brigitte

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    • Juni 16, 2018 um 5:48 pm Uhr
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      Liebe Brigitte
      So geht es mir auch. Man liebt sie oder nicht. Das habe ich nun festgestellt. Meine nächste Geschichte handelt davon. Der Weg zum Meer ist weit. „Der Weg ist das Ziel“ sagte ja Konfuzius. Liebe Grüsse Verena

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  • Juni 13, 2018 um 8:54 pm Uhr
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    Liebe Verena,
    Du bist zu beneiden!
    Obwohl auch ich mein temporäres Zuhause mit dem wunderbaren Garten sehr geniesse und die Stadt aus einem ganz neuen Blickwinkel kennen und schätzen lerne.

    Dir weiterhin gute Fahrt!
    Herzlich
    Kim

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  • Juni 13, 2018 um 9:11 pm Uhr
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    Die Gegend ist traumhaft, im Oktober 2016 waren wir auf Föhr und das Jahr zuvor auf Sylt. Eindrücklich, wie Wind und Wellen die Inseln verkleinern, speziell die Südspitze von Sylt. Ich beneide Dich und bewundere Dich zugleich!

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  • Juni 14, 2018 um 9:45 am Uhr
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    Moin moin Verena
    Deine Texte inspirieren immer von neuem. Wunderbar! Es braucht nicht viel um glücklich und zufrieden zu sein. Weniger Zeugs, mehr Zeit und Musse. Seit ich mich von allem unnötigen Besitz verabschiedet habe, fühlt sich das Leben wieder wunderbar voll an. Ganz nach dem Motto, was Du nicht besitzen tust, bereitet Dir keine Sorgen….
    Frage: hast Du die Überfahrt vorher gebucht oder bist Du spontan an den Hafen gefahren? Ist der Campingplatz in dieser Jahreszeit voll? Muss man auch hier vorher buchen? Hunde erlaubt?

    Weiterhin viel Spass und bis bald wieder

    Urs

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    • Juni 15, 2018 um 7:24 pm Uhr
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      Lieber Urs

      Um Deine Fragen schnell zu beantworten, habe ich Dir auch ein Foto von einem der Hundestrände angefügt. Weit und breit sehr sehr viel Platz. Es hat viel Hunde und alle soweit sehr angenehm. Ich habe ja leider immer etwas Angst.

      Camping und Fähre würde ich zuvor reservieren. Du kannst jederzeit und auch sehr kurzfristig umbuchen. Im Camp gibt es 2 Teile. Die einen fahren rein und bleiben fix bis zur Abfahrt (sie wollen dass innen alles möglichst entspannt ist) und wenige andere parkieren außerhalb. Du kannst vor Ort aussuchen. Ich habe draussen gewählt, obwohl ich den 10 Tagen erst einmal das Auto benutzt habe. Ich gehe sehr viel zu Fuss oder mit dem Velo.

      Extrem saubere und moderne Duschen und WC und sehr nett. Gutes WLAN. Mir passt es da es extrem ruhig ist. Nicht mal die Beiz hat offen.

      Übrigens hat es viele CH- Camper obwohl es doch 800 km sind.

      Was heisst: unnötiger Besitz weg. Das musst du mir mal erläutern. ?

      Herzliche Grüsse
      Verena

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      • Juni 16, 2018 um 9:30 am Uhr
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        Grüezi Verena
        Danke Dir für die ausführliche Beschreibung. Tönt ja sehr gut. Das Foto kann ich nicht sehen….?
        Bezüglich „weniger Zeugs, mehr Zeit“ schlage ich vor, dass wir uns mal ab Mitte August zu uns in unser neues „Tiny!!-House Quadrin“ einladen. Falls Du dann wieder zurück sein wirst 😉 Bei einem Glas Wein oder einem Kaffee lässt es sich besser erläutern. Minimalistischer Leben – wunderbar!!
        Darf ich Dich zum erwähnten Zeitpunkt mal anrufen um einen Termin zu machen?

        Weiterhin gute Zeit und bis bald

        Urs

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  • Juni 14, 2018 um 3:21 pm Uhr
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    Toll verena, bin zufällig auf deine seite gekommen. Ja, die nordsee inseln haben etwas ganz besonderes! Geniesssse deine natur ferien am und im wasser. Wir fahren nächste woche nach osttirol – also ebenfalls zu mutter natur.
    Sei umarmt, habe einen wunderschönen sommer und mit glück sehen wir uns bald mal wieder. Vor ein paar jährchen hast du in frankfurt auf einen lunch stopppp gemacht, wie wäre es demnächst damit? Herzlichst gretel

    Antwort
    • Juni 16, 2018 um 5:44 pm Uhr
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      Liebe Gretel
      du bist bei mir abonniert, glaube ich, deshalb bist Du auf meine Seite gekommen. Ich habe mich sehr gefreut, von Dir zu hören. Ja, ein Besuch wäre schön. Es gäbe doch allerlei Neues zu berichten. Aber dieses Mal führt mein Weg an Frankfurt vorbei und Ihr seid ebenfalls am Busen der Natur. Liebe Grüsse Verena

      Antwort
  • Juni 14, 2018 um 3:54 pm Uhr
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    Möchte mich bedanken für diese wunderschöne Ausführung über die Ferien zu schreiben ,so dass man fast dabei war in Gedanken.Toll und danke

    Antwort
    • Juni 16, 2018 um 5:35 pm Uhr
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      Liebe Silvia
      Ich denke, dass diese Insel Dir auch gefallen und gut tun würde. Alles Gute. Liebe Grüsse Verena

      Antwort

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