
«Kuck-kuck, kuck-kuck». Jeden Morgen zieht es mich über den Bohlenweg durch die Dünen. Immer ist es anders. Mal paddeln Graugänse mit ihren Jungen, Gössel genannt, über den torfigen Teich, mal sind es Eiderenten und andere Male ist da gar nichts, ausser dem kleinen aufgeweckten Kaninchen. Heute verkündet einzig der Kuckuck seine Anwesenheit. Sein Gefieder ist so schmucklos, dass ich ihn nur mit den Ohren sehen kann. «Wo hast Du denn dein Ei gelegt?» frage ich ihn.

Mein liebstes Ruhebänklein am Ende des Weges ist besetzt. Zwei vom Leben erschöpfte Frauen fordern meine Aufmerksamkeit. Sie litten sichtlich. Mein «moin» bewirkte ein kaum wahrnehmbares Zucken der herunterhängenden Mundwinkel. Schweiss perlte in die leidenden Augen. Einzig der kleine, schwarze Hund erschnupperte Hasendüfte und lauschte aufgeweckt dem Rascheln im Heidekraut.
«Wo kommen’s denn her?» fragte sie barsch.
«Vom Camping her, da unten».
«Aha, und ist DA deet Meer?» ereiferte sich ihre Freundin.
Ich erklärte, dass der Bohlenweg vom Campingplatz durch die Heide weiterführe und dass am Schluss eine Sandleiter auf eine Sanddüne hochführe. Ich verschwieg wohl weislich meine Bedenken, dass sie das schaffen würden, meinte aber aufmunternd: «Von dort sehen sie dann das weite Meer, aber es ist dann immer noch weit weg.»
Das interessierte die Damen nicht. «Ick will das Meer sehen!», wiederholte sie. Ok, dachte ich und fragte sie, ob sie denn auf der anderen Seite der Insel das Meer gesehen hätten. Das sei ja zehn Minuten zu Fuss. Bei Flut ist das Meer dann ganz nahe.
«War Ebbe oder Flut?», erkundigte ich mich, denn ich wollte ihnen doch das Meer präsentieren. «Ick wees net» «Ebbe, was is dees?» meinte sie ziemlich entnervt.
«IK WILL ENFACH DEET MEER SEHEN» schrie sie in die Heide.
Oh, wie taten sie mir leid.
Diese Begegnung war so tragisch und so komisch. Sie erheiterte meinen Tag. So unterschiedlich sind unser aller Ansprüche.
Auf Amrum sieht man das Meer nicht ohne körperliche Anstrengung. Es entrollt sich nicht einfach an der Promenade, wie an der Ostsee, am Mittelmeer oder sogar auf Föhr. Der Meersüchtige muss es sich er-gehen oder mit dem Fahrrad er-fahren. Er muss sich im Besonderen nach den Gezeiten richten. Der weisse Strand ist breit und dafür leer. Das Watt auf der anderen Seite ist schlickig und bei Ebbe unendlich. Aber wenn man den Flut Saum erreicht hat und die Brandung hört, dann hat man sich dieses Rollen, Rauschen und Gurgeln erkämpft gegen Wind und Sand. Man muss nicht nur das Meer, sondern auch den Weg lieben, denn auch hier gilt: «Der Weg ist das Ziel.»
tolle geschichten mamma