Neuseeland Tagebuch 13.-27. Februar 2019
Noch in der Dunkelheit verliessen meine Schwester, Barbara und ich bei eisigen Gisborne-Temperaturen die Hügel ausserhalb Melbourne’s. Jan, der den Shuttle Service übernommen hatte, spukte uns am Flughafen aus. Da waren wir nun. Ausgeliefert an tausend Maschinen, die unsere Pässe schnappen wollten, koffer-schluckende Bänder, begierige Kontrollen und einige Schlangen vor weiteren Schranken. Aber wir haben uns durchgedrückt und sind auf der anderen Seite unbescholten rausgespuckt worden. Zur Belohnung und ersten Erholung genossen wir unseren Cappuccino mit Mandelcroissant. Jetzt konnte uns nichts mehr anhaben.
Noch vor ein paar Monaten hatte ich mich nicht wirklich auf diese Reise gefreut. Damit ich jedoch die weiteren Wochen mit einem gültigen Touristenvisa in Australien bleiben kann, ist eine mindestens einwöchige Ausreise Bedingung. Neuseeland lag auf der Hand. Ein verheissungsvolles Land, das weder Barbara noch ich bereist haben. Ist diese halbherzige Reiseplanung wert? Nach diesen Wochen der Erholung weiss ich jetzt, dass ich jede Minute geniessen, aufsaugen, auskosten und in Wörter und Bilder verwerten werde. Meine Abenteuerlust, der Mut und das Vertrauen sind heimgekehrt. Ich bin glücklich.
Neuseeland, am weitesten weg von Zuhause und südlichsten Punkt dieses Kontinentes erweckt hohe Erwartungen. Überhöhte? Das wird sich zeigen. Die Begeisterung für Land und Leute ist riesig. Die Nähe von Gletschern, Bergen, Seen, Ozeane, Wale, heissen Quellen, Sandstränden und Geysiren sei umwerfend und einmalig. Das singende, weiche Englisch sei so einladend und erfrischend. Ich bin einfach nur gespannt, versuche meine Erwartungen flach zu halten und freue mich einfach, dass ich Neuseeland erleben darf.

Wer kennt noch Mary Scott? Eine Rosmarie Pilcher aus Neuseeland. Anfang letztes Jahrhundert hatte Mary Scott (1888 – 1979), eine sehr gebildete junge Frau einen Schaffarmer geheiratet. In ihrem biographischen Roman erzählt sie lebhaft von den Flitterwochen, dem abenteuerlichen Ritt quer über die Nordinsel, um das entlegene Grundstück zu finden und bebauen. Härteste Pionierarbeit in jeder Beziehung. In unzähligen, leichten und humorvollen Romanen liess sie die Leser am abenteuerlichen, oft misslichen, von Katastrophen geprägten Leben teilhaben. Abwechselnd purzelten Kinder, Schafe, Nachbarn herbei während Unwetter, Feuer und Krankheiten das Leben alles andere als Langweilig machte. Jeglicher Klatsch war schnell über den Äther und in Telefonleitungen verbreitet, die jeder mithören konnte. Eine wunderbare alte Zeit, der man heute kaum noch einen Reiz abgewinnen kann. Zu viele Entbehrungen und Gefahren. Aber damals öffnete es mir ein Fenster zu einer Welt, in der ich gerne gelebt hätte. Noch heute stehen, die zehn gelben Goldmann Romane aus den 19’50-70er zerfleddert im Büchergestell. Lesen kann man sie nicht mehr. Zu seicht und simpel. Sie waren in einer anderen Welt und Zeit geschrieben. Aufbewahrt jedoch sind mein Mitfiebern, meine damaligen Emotionen und Hoffnungen auf ein wildes, freies Leben. Wer die schmalen Taschenbücher je gelesen hatte, erinnert sich bestimmt. Und dieses Neuseeland trage ich auch in mir.
Beim Empfang unseres Mietautos erlebten wir ein kleines Ärgernis. Ohne Zweifel an dessen Gültigkeit auch in Neuseeland, präsentierte ich meinen Fahrausweis, da er ja ganz eindeutig mit «Driving licence» auch die hiesigen Anforderungen nach englischer Übersetzung erfüllte. Was mich aber der reizende junge Mann lehrte war, dass die Wörter «Name, Vorname…» nicht übersetzt seien. Ungläubig und irritiert über dieses bürokratische Hindernis, erklärte er, dass diese neue Vorschrift erst seit sechs Monaten gelte, dass absolut alles übersetzt sein müsse. Er war so charmant, hilfsbereit und herzlich, dass schon bald jeder Funke von Ärger verflogen war, denn er bot uns eine Übersetzung an, natürlich kostenpflichtig, auf die wir gemütlich bei einem Kaffee warten konnten. Was wir hier erlebten, war genau dieser herzerfrischende Kontakt, der angeblich Australien bei weitem übertreffe. Freudig stiegen wir in unseren Mietwagen, der unweit des Flughafens parkiert war.

Das Wetter war hochsommerlich heiss, der Himmel tiefes Blau und der tiefe Bergsee Wakatipu, einem Blitz gleich eingebettet in rundherum säumende Berge liess unser Schweizer Herz höher schlagen. Ich hatte die Berge vermisst, diese frische klare Luft, die einem empfängt und die ruhige Oberfläche eines Bergsees. Aus unserem Hotelzimmer können wir die stündlich veränderten Stimmungen mitverfolgen. Alles scheint anders hier. Obwohl wir in Dollars zahlen und die Sprache Englisch ist. Nichts scheint gefährlich, ausser den Erdbeben, die wir hoffentlich nicht erleben werden. Ich stelle mich in eine trockene Bergwiese ohne den Untergrund nach Schlangen abzuscannen. Dies hatte zu meinem Alltag gehört, wie sorgfältig alle Fliegentüren sorgfältig zu schliessen. Unsere ersten Kontakte sind allesamt extrem hilfsbereit und freundlich. Einfach eine authentische, natürliche Fröhlichkeit. Jeden, den wir ein wenig ausfragen, wie er hierhergekommen ist, denn viele scheinen eingewandert zu sein, erzählen von der absoluten Wahlheimat, vom Glück hier leben zu dürfen und trotz der tausenden von Kilometern fern einer einstigen Heimat, hier bleiben zu wollen. Das Leben sei einfach, gut, sicher und die Natur ein Traum. Ja, kann ich dazu nur sagen.
Etwas für mich Entscheidendes würde ich jedoch sehr vermissen hier. Es ist so ruhig draussen, sehr sehr still. Schön oder? Oder eben auch nicht. Denn die australische Vogelwelt, die Schreie der Kakadus, das Gebimmel der Elstern, den Gesang zahlreicher bunter und schriller Vögel würde ich schmerzlich vermissen. Es sind Inseln so nahe an Australien und doch so verschieden.
Die Berge erinnern mich an alte Brockenhaus Sofas, die mit abgewetztem oliv-sandig farbigem Samtstoff bezogen sind. Man möchte sie mit der Hand streicheln und die Struktur erfühlen. Sie sind nicht kantig und doch hoch und felsig. Ohne Ufer stürzen die Flanken in den 300 Meter tiefen See. Dies erklärt auch weshalb wir trotz warmem Sommerwetter keine Badende sehen. Er ist kalt auch für hartgesottene Neuseelandburschen.
Dear Verena – es fühlt sich für mich an, als wenn ich dich und deine Schwester begleite – so eindrücklich lebendig und farbenfroh schilderst du die Ausstrahlungskraft deiner gewonnenen Einblicke….geniesse weiter die Augenblicke mit deiner Schwester und übrigens…..das Führerschein-Problem erlebten wir in fast der gleichen Form auf Maui Hi….frühlingshafte Grüsse aus Schlaate –
Liebe Verena, es ist eine wahre Freude, Deine Berichte zu lesen und fast mit zu erleben, was Ihr so erlebt und fühlt. Danke, dass Du Deine Gedanken mit uns teilst! Fast beneide ich Euch um alles erlebte, wenn es nur nicht so weit wäre. Liebe Grüsse, auch an Barbara, aus dem sonnig warmen, frühlingshaften Genf
Liebe Verena
Es ist immer wieder erfrischend mit dir in fremde Welten und Erlebnisse einzutauchen!
Sei es, dass du Erinnerungen weckst an Gastfreundschaft einerseits und selbst erlebte Bürokratie andererseits, oder dass mich ob deinen Beschreibungen die Lust packt sofort alles stehen und liegen zu lassen um auf Wanderschaft zu gehen.
Deine Berichte wirken sehr animierend. Herzlichen Dank und liebe Grüsse, Kim