Von Bern durchs Emmental-2

Von Bern durchs Emmental-2

Meine Abreise machte mich nervös. Ich konnte es kaum fassen, wie ängstlich ich mich fühlte. Alles Räsonieren verbesserte diesen Zustand nicht. Vier Monate Corona «Ferien» hatten offensichtlich meine Reise-Fähigkeit beeinträchtigt. Die Lockerheit war quasi dem Lockdown zum Opfer gefallen. Ich wusste jedoch, dass einfach Weitermachen hilft, die Angst zu besänftigen. Also fuhr ich nichtsdestotrotz frühmorgens los. Kaum war das unangenehme, stressige Gubristtunnel zwischen Zürich Richtung Bern durchdrungen, flog die Nervosität zum Fenster raus. 

BERN

Die erste Etappe auf der «Grand Tour of Switzerland» führte von Bern durchs Emmental, mein erster Parkplatz fand ich beim Rosengarten. Voller freudiger Erwartungen blickte ich auf die schneckenförmige, braungesprenkelte Berner Altstadt hinunter. Ich wollte meine Schweizer Reise mit Überblick beginnen. Gemütlich stieg ich sodann zum Bärengraben hinunter, setzte mich ein paar Minuten zu Albert Einstein auf ein Bänklein. Ja auch er war da. Allerdings 1905 hatte er in Bern gelebt und seine Relativitätstheorie entstand hier.

Dann schlenderte ich zum Bärengraben, über die Nydeggbrücke durch die Gassen zum Münster hin. Coronabedingt kann man den Münsterturm zur Zeit nicht besteigen. Also spazierte ich unter den Lauben weiter zum Bundeshaus. Von der Terrasse aus beobachtete ich die wilde türkis-graue Aare. Bern ist seit 1983 UNESCO Welt Kulturerbe. Es ist eine Hauptstadt, in der man sich geborgen und aufgehoben fühlt und verbunden mit einer langen politischen und kulturellen Geschichte. An Bern hängen auch ein paar ausserordentliche Erinnerungen. Zum Beispiel im Sommer 1991. Damals war die Schweiz 700 Jahre alt. Meine Töchter und ich verbrachten eine Ferienwoche dort, denn ich wollte ihnen ein Stück Schweizergeschichte vermitteln. Wir bestiegen das Münster, besichtigten das ganze Bundeshaus (alles war für die Bürger zugänglich), waren leider auch Zeugen eines Selbstmordes von der Münster Terrasse hinunter, stellten uns zur vollen Stunde vor den Zytglogge (Zeitglocken Turm) https://www.bern.com/de/detail/zytglogge-zeitglockenturm) und genossen Gassen, Märkte und Läden. Eine andere Erinnerung ist der Spaziergang um fünf Uhr morgens über den Zibelemärit anfangs November. Ich berichtete übrigens in diesem Blog vor zwei Jahren.

BURGDORF

Diesen Zeichen muss ich folgen. Nur, wo sind diese Zeichen? Sie zeigen nur im Uhrzeigersinn, also nicht auf Zufahrtsstrassen. Mein erstes der 650 Strassenschilder habe ich erst in Burgdorf entdeckt, wo ich auf dem Campingplatz Waldegg reserviert hatte. Wunderbar an der Emme gelegen mit fantastischem Blick auf das Schloss. Burgdorf eben!

Zuerst besuchte ich das berühmte Franz Gertsch Museum mitten im Städtli. https://www.museum-franzgertsch.ch. Die zum Teil riesigen fotorealistischen Bilder sind faszinierend. Ist es ein Foto oder doch gemalt?

Ein äusserst schmales Brücken führte zum Camping hinüber. So schmal, dass ich um die Seitenspiegel bangen musste. Weiss ich nicht, wie etwas funktioniert, so frage ich einen der vielen, vielen VW-Camper Nachbarn. So entstehen auch immer informative und sympathische Gespräche. Jetzt weiss ich, wie ich die Spiegel einklappen kann.

Der Blick vom Camping aus

Auf so einer Reise kann man nicht alles besuchen und anschauen. So auch das Schloss. Kein Wunder, denn Schloss Burgdorf wurde erst kurz vor meinem Besuch, Mitte Juni 2020, neu eröffnet. Gemeinsam mit einer tollen Jugendherberge und einem Restaurant in alten Gemäuern erzählt das angeschlossene Museum die Geschichte des Schlosses, der Region und der weltweiten Zusammenhänge. Ein modernes Erlebnismuseum wie man es sich wünscht. https://schloss-burgdorf.ch/de/

EMMENTAL

Frühmorgens ging es nach dem unverzichtbaren Cappuccino weiter, den Schildern nach über Nebenstrassen zu einem besonderen Aussichtspunkt. Lueg (bei Affoltern im Emmental) heisst er. Die letzten hundert Meter steigt man zu Fuss hoch und überblickt aufs Wunderbarste die Berner Alpen mit Eiger, Mönch und Jungfrau vor mir und hinter mir die Jura Kette über die ich vor 10 Jahren von Dielsdorf nach Nyon am Genfersee gewandert bin. Diese einmalige Stille, der glasklare Morgen und der allgegenwärtige Lindenduft bestätigten mir die Aussage einer Wanderin, dass dies ein Kraftort sei. Wie an allen Orten steht auch hier die ausladende Linde mit einem roten Bänkchen im Zentrum. Ich setzte mich zu einer Meditiation. Wenn nicht hier, dann wo, sagte ich mir. Tief versunken in den Rhythmus meines Atems, hörte ich unerwartet den Gesang eines Buchfinks über mir. Habe ich mich dem Takt seiner gleichmässigen Noten angepasst oder wartet er bis ich ausatme? Es ist ein mystischer Moment, als mir bewusst wird, dass dieser Vogel im absoluten Gleichklang mit mir ist. Immer wieder. Es ist ihm wohl unheimlich geworden, denn plötzlich unterbricht er die Szene und entschwindet ins Tal runter. Mein anfangs wackeliges Reisegefühl, war nun vollends hergestellt.

EMMENTALER SCHAUKÄSEREI

Wenn man wissen will, wie die Löcher in den Emmentaler kommen, dann empfiehlt es sich die audiovisuelle Tour, den Königsweg in der Schaukäserei Emmental zu besuchen und sich auf lustige, fantasievolle Art verzaubern zu lassen. (Es sind Bakterien übrigens). Am Schluss der Tour, die durch verschiedene animierte Räume führt, geht’s natürlich zum grosszügigen Laden mit hundert Käsesorten. Der Besuch hat sich wirklich gelohnt.

Noch mit dem Käse im Mund, wollte ich den besonderen Emmentaler Fotospot der Grand Tour of Switzerland finden. Angeschrieben war er nicht. Er führe über die schmale Strasse an der Schaukäserei vorbei den Hang hinauf, erklärte mir die Kassenfrau. Ich jedoch sah einzig Wegweiser für Velotouren. So kurvte ich durch saftige Wiesen, an fetten Kühen vorbei, Ausschau haltend nach dem roten Fotorahmen mitten in der Landschaft. Endlich fand ich ihn. Neben einem Lindenbaum natürlich und dem obligaten roten Bänkchen mit Blick in die Berner Alpen.

Zu beachten ist der Totempfahl mit dem Wilhelm Tell in der Mitte.

Und dann ging’s 20 km weiter über schmale Strassen, durch schmucke Dörfer, vorbei an ausladenden, blumengeschmückten Häusern mit breiten Veranden und tiefhängenden Dächern. Bunte Bauerngärten, Kühe, Geissen und tolle Ausblicke auf die Alpen. Die Sonne strahlte. Alles war so perfekt. So wie ich mir ein Schweizertüürli vorgestellt hatte. Dass die nahenden Gewitter mir schon bald die Kehrseite demonstrieren würden, erzähle ich in der nächsten Folge.

GOTTHELF ZENTRUM EMMENTAL

Wer kennt nicht die „Schwarze Spinne“ von Jeremias Gotthelf, vom Emmentaler Schriftsteller, Pfarrer und Pädagoge. In Lützelflüh steht sein ehemaliges Pfarrhaus, das zu einem modernen, informativen und lohnenswerten Museum umgebaut wurde. Ich habs genossen. https://www.gotthelf.ch/de/zentrum-museum/ausstellung-museum

Ein langer, ereignisreicher Tag endete auf dem Campingparkplatz in Marbach, Entlebuch. Meine letzte Aussicht des Tages bot sich mir nach einem ersten heftigen Gewitter am Abend. Plötzlich leuchtete alles rosa-gelb unter einem perfekten Regenbogen. Glücklich schlief ich ein. Diese besonderen Momente sind das Salz auf meinen Reisen.

4 Gedanken zu „Von Bern durchs Emmental-2

  • Juli 9, 2020 um 10:33 am Uhr
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    Wunderschön Deine Eindrücke von Deinem Emmental. Ich lese sie immer gerne .Ich wünsche Dir weiterhin erlebnisreiche Ferien
    Liebe Grüsse Ursula Schöttle

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    • Juli 18, 2020 um 8:00 pm Uhr
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      Liebe Ursula
      Am Tag als Du geschrieben hast, haben wir einander in unseren Autos bei der Kartonsammlung gekreuzt. Danke, dass Du an meinen Reisen teilnimmst. Ganz liebe Grüsse Verena

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  • Juli 10, 2020 um 3:40 pm Uhr
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    Ich bewundere Deine Energie, Deine reiselust und Deine Fähigkeit, all dies so schön zu Papier, (resp heute auf den Bildschirm ) zu bringen. Es ist eine Freude, Deine Berichte zu lesen. Danke leibe Cousine!!

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    • Juli 18, 2020 um 8:02 pm Uhr
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      Liebe Cousine
      Schön, dass Du mir immer wieder schreibst und meine Berichte liest. Irgendwann wird die Tour auch bei Dir in Genf vorbeikommen. A bientôt. Liebe Grüsse Vreni

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