In der dritten Woche meiner Reise schrieb ich: „Heute habe ich entschieden, dass ich im Finistère bleiben werde. Man könnte immer weiterfahren, weil man hofft, noch einen schöneren Strand hinter der nächsten Kurve zu entdecken, noch wilder zu übernachten oder noch den prächtigeren Sonnenuntergang zu fotografieren.
Aber es gefällt mir hier. Ich muss nicht weitersuchen. Gemütlich auf dem kleinen Wochenmarkt in Le Conquet einkaufen, in die Créperie einkehren und am Nachmittag auf dem Küstenweg zu einem weiteren Leuchtturm wandern. Dazwischen am Strand der Brandung lauschen. Es ist herrlich sonnig und warm. LG vom Ende der Welt.“
Auf dem sentier côtier GR34, dem Küstenwanderweg, habe ich viele Leuchttürme entdeckt.







Aus dem Tagebuch: „Ein neuer Morgen. Auf einer Anhöhe stehend, überblicke ich grünes, saftiges Land mit Wiesen, die so weich, so wohlig weich sind wie Daunenduvets aus Moos. So ein leichtes Gefühl unter den Füßen habe ich nie erlebt. Peppina und ich sind aufgestiegen von der Eglise Sainte-Anne in Plonévez-Pozay (noch mehr Dörfern mit „P“). Auch sie scheint eingebettet in eine grüne Federbettdecke. Frieden. In der Nähe ein Weiler mit den typisch Bretonischen Häusern. An jedem Ende ein Giebel mit breiten Kaminen. Dazwischen ein Schieferdach Zweistöckig aus solidem Granit, oft sind auch die Fenster umrahmt mit Granit.„




Spitze Kirchtürme
Ob es sich bloss um eine Ansammlung von Häusern handelt oder ein Dorf, entscheidet der Kirchturm. In jedem Dorf steht eine grosse Kirche mit einem spitzen Turm. Als die gefühlt fünfzigste, ähnlich aussehende Turmspitze meinen Blick auf sich zog, musste ich anhalten und sie mir genauer betrachten. In Plourin (noch ein „P“) steht dieses ganze Ensemble „Notre-Dame“ am höchsten und zentral gelegensten Punkt. Diese Bauten zeugen von grossem Wohlstand. Aus einem Führer: „Erbaut wurden sie im 16. Jh., dem „goldenen Zeitalter“ der Bretagne. Diese Kirchhöfe sind in Frankreich einzigartig. Sie bestehen aus Kirche, Umfassungsmauer (enclos), Monumentaltor oder Triumphbogen, Kalvarienberg und Beinhaus. Die meisten bretonischen „enclos paroissiaux“ befinden sich im Norden und in der Mitte des Finistère.“ Und genau da hat es mir so sehr gefallen.




Pont-Aven und die Salzgärten von Guérande
Die gemütlichen Tage im Finistère, dem Ende oder wie die Bretonen sagen, dem Anfang der Welt, sind schon vorbei, und ich will noch zwei Orte besuchen, die ich aus den Krimis von Jean-Luc Bannalec um Commissaire Dupin kenne. Pont-Aven und die Salzgärten von Guérande.
Nach einem langen Hundespaziergang durch die Wälder in Pont-Aven sitze in einem reizenden Restaurant und vor mir steht ein speicheltreibender Apfelkuchen. Da kommt mir der Gedanke, diese Reise als belegten Apfelkuchen zu betrachten. Mein „Reise“kuchen ist beinahe aufgegessen. Es bleibt ein kleines Stückchen übrig, das ich besonders geniessen möchte und so mache ich mich auf Spurensuche.




Hier in Pont-Aven gelingt es mir besonders. Dieses Städtchen liegt in einem malerischen Tal, durch das der tosende Bach Aven talabwärts Richtung Meer fliesst. Kein Wunder siedelten sich so viele Künstler hier an. Unter anderem Paul Gauguin, der sich hier von einer Christusfigur in der Chapelle de Trémalo inspirieren liess. Pont-Aven ist ein bisschen wie die Apfelauflage meines Kuchens. Saftig, nährend, lebhaft, inspirierend und nicht zuletzt wühlt der laute über Felsen springende Bach auch auf.
Auf der Suche nach „exotischen“ Motiven kommen die Maler ab 1860 hierher und Paul Gauguin gründet die Künstlergruppe „Schule von Pont-Aven“. Über einen gemütlichen Fussweg spazieren Peppina und ich zum Bois d’Amour, wo früher die Maler ihre Staffeleien aufgestellt hatten.
Dann wäre da noch der Teig. Der Boden meines Apfelkuchens ist vielschichtig und knusprig, une pâte feuilletée, Blätterteig. Das ist die Bretagne in jeder Beziehung. Ich habe von allem etwas erlebt. Und noch viel mehr noch nicht gesehen.
Meine Reisezeit ist um. Ich stehe auf dem letzten Campingplatz in Besançon und werde heute nachmittag heimkehren in ein Haus mit fünf Ukrainischen Frauen. Die Gedanken waren in diesen drei Wochen immer auch beim Krieg, bei den Geflüchteten und bei den Zurückgebliebenen. Die Privilegien, die ich habe, sind unglaublich. Ich kann reisen, aber auch heimzukehren, ich kann mir auch erlauben, keine Nachrichten zu konsumieren, ich bin frei und darf Entscheidungen fällen. Eine überwältigende Dankbarkeit hat mich oft überfallen, denn ganz wegpacken konnte ich die Ängste dieses Krieges nicht. Es ist ein weiteres Privileg, dass ich helfen kann, weil ich ein Haus mit Platz besitze und eine Familie habe, die dies mitträgt. Es ist schön, Teil des humanitären Gedanken zu sein und ihn leben zu dürfen.
Zum Abschluss ein paar Bilder der Salzgärten, denn ohne Salz können wir Menschen nicht leben.



Immer wieder berührst Du mich mit Deinen schönen Worten und Gedanken, liebes Cousinli! Du kannst es so gut ausdrücken. Danke, dass Du uns daran teilnehmen lässt. Sitze zwar auch an einem traumhaften Ort (Surlej) und bin so dankbar um alles , was wir haben. Freue mich, Dich bald wieder zu sehen.
Danke vielmals.
ein interessanter, wie mein Wissen erweiternder Reisebericht • Und ja, ich kann mir gut vorstellen, daß die moosige Federdecke auch der Peppina unter ihren Pfoten sehr angenehm war. 😉
Lieber Mario
Schön dass du wieder unter den Lesenden bist. Bis bald LG Verena