Geplant hatte ich eine weite Sommerreise im „camper van“ wie die Engländer meinen Bus nennen oder „le büs wolkswàgen“ (Betronung auf der letzten Silbe), weich ausgesprochen auf französisch. Natürlich mit Peppina. Ich wollte durch die vier Länder von Grossbritannien fahren: von England nach Wales, durch Irland hinauf und mit der Fähre rüber nach Schottland. Eine Reise „back to the roots“, denn hier hatte ich von 1969-1974 fünf prägende Jahre gelebt.
Zwei Wochen später brach ich die Reise in Wales frühzeitig ab. Ich wurde zu hause gebraucht. Dennoch habe ich viel Spannendes und Ungewöhnliches erlebt und davon will ich erzählen.
Liveticker im Eurotunnel von Calais nach Folkestone 3. Mai

„12.29. Der Bus und ich harren der neuen Ereignissen, die da kommen. Wir stehen im verriegelten Containerwagon auf dem Geleise in Calais. Die Hafenstadt, in der einst im Hundertjährigen Krieg gegen die Engländer, sechs angesehene Bürger hätten geopfert werden sollen. Für die Ewigkeit festgehalten, hat diese Heldentat der Bildhauer, Auguste Rodin in seiner lebensgrossen Bronzeskulptur. Das Original steht in Calais in einem unauffälligen Blumenbeet vor dem Rathaus. Ich war beeindruckt.

12.34. Die Beine hochgelagert, Peppina zufrieden schlummernd, warten wir auf die Abfahrt durch den Eurotunnel nach Folkstone. Der Magen rebelliert. Wie wird es sich anfühlen, tief unter dem Meer hindurch zu fahren? Wohl nicht anders als im Gotthardtunnel begraben unter tausend Meter Felsmassen, räsoniert der Kopf, dennoch ist es ungewohnt. Schwingt die Tunnelröhre lose im Meer oder gar auf dem Meeresboden, frage ich mich? Vorstellen kann ich mir alles. Tatsächlich gräbt sie sich vierzig Meter unter dem Meeresboden durch.


Hinter uns liegen aufwändige Kontrollen. Diejenige von Peppina war harmlos, dank der korrekten Impfungen, Entwurmungen und des implantierten Chips. Linke Schulter. Ich scanne die Stelle mit dem Gerät eine Weile, und werde fündig. Nach dieser ersten Hürde gab’s noch weitere. Einchecken natürlich alles an Automaten mit E-Tickets, zwei Mal Passkontrolle und eine Sicherheitskontrolle der Gasflasche. Neu müssen wir Schweizer Bürger einen Pass vorweisen, damit wir in Johnson’s Brexit Land eintreten dürfen. Eigentlich alles easy, wenn man erstmals weiss, wie es geht.
12.45. Wir rollen. Noch sind wir im Hellen. Es ruckelt und quietscht. Viele Sicherheits Durchsagen erfordern meine Aufmerksamkeit. Ich verstehe nur die Hälfte. Durch kleinste Fenstern dringt die Aussenwelt herein. Und dann sind sie dunkel. Unheimlich. Unter dem Meer. Kann es sein? Ohrendruck. Ja klar. Noch wackelt es. Als Jugendliche überquerte ich oft per Fähre den Ärmelkanal. Auch das war aufregend. Man sah die Kreidefelsen, Fischerboote, manchmal stürmisches Wasser. Jetzt gleiten wir auf Schienen unten durch. Diese Reise kostet mich schon etwas Mut, merke ich. Neues wagen. Während ich noch über die Helden von Calais nachdenke, sind wir schon 19 der Gesamtzeit von 35 Minuten gefahren. Langsam, stetig.
13.05. Die Sinne greifen nach Anhaltspunkten. Die Geräusche ändern sich, der Ohrendruck nimmt zu, mein Herz schlägt etwas schneller. Sind wir am tiefsten Punkt angelangt? Es rattert lauter. Wo sind wir? Alles scheint normal. Halbzeit sagt meine Uhr.
13.20. Wir sind da.“
Folkestone

Konzentrieren und links fahren. Ein nützlicher Hinweis ist, sich immer an den linken Randstein zu halten. Ich habe Respekt, um so mehr kein Copilot mit mir aufpasst. Obwohl ich in England die Fahrprüfung gemacht hatte und oft in Australien Auto gefahren bin, will ich es nicht unterschätzen. Überraschenderweise ist die Umstellung wie automatisch. Dennoch gilt es bei Kreiseln, Autobahneinfahrten und aus Parkplätzen heraus, vorsichtig zu sein.
Erstmals halte ich in Folkestone, einer grösseren Hafenstadt an den weissen Klippen. Im Fischladen neben Netzen, Reusen und Kuttern finde ich den besten und frischesten Fish ’n‘ Chips Teller, den ich je hatte. Obwohl ich eigentlich keine Pommes mag, sind diese handgeschnittenen, dicken Kartoffel chips zum Reinbeissen. Frisch und knusprig und dann erst das in Backteig frittierte, fangfrische Kabeljau Filet. Jeder Bissen spült das salziges Meerwasser in meinen Mund, er bläst mir den Wind ins Gesicht, und lässt die Gischt laut und kraftvoll zum Quai heranholen. Meine alte Liebe zum englischen Leben ist geweckt. Ich spaziere durch den bis 2014 betriebenen Hafen-Bahnhof, der heute mit Pubs und Läden für die neuen Nutzer umfunktioniert wurde und freue mich darüber, dass ich Folkestone nicht links liegen gelassen habe.

Wunderbar wieder von dir zu lesen liebi Verena! Ich freue mich schon auf weitere Geschichten, und natürlich auf dich mit Peppina !
Herzliche Grüsse Yvonne
Liebe Verena
Danke für deinen 1. England-Bericht. Wieder wunderbar unterhaltsam geschrieben. Die Reise durch den Eurotunnel stelle ich mir auch etwas unheimlich vor sowie auch der Linksverkehr wäre wieder eine Herausforderung. In unseren jungen Jahren verbrachten wir einige Monate in Südengland und ich hoffe, dass wir dieses schöne Land bald wieder mal bereisen können.
Freue mich auf die nächsten Episoden.
Lg Silvia
Hoi verena
Du solltest buchautorin werden. Du schreibst so interessant, dass man direkt auch dabei ist. Ich lese eeine beiträge sehr gerne. Hochinteressant und unterhaltend. Freu mich schon auf die nächsten beiträge. Lieber gruss eli
Liebe Verena
Noch vor dem Morgenkaffee deinen Bericht gelesen, deine Schilderungen sind beeindruckend. Mich „tschuderets“ beim Gedanken an die Eurotunneldurchfahrt. Bin gespannt auf die Fortsetzung deiner Geschichte und grüsse dich herzlich
Claudia
Liebe Verena. Wir sind grad in Alaska. Wünsche Dir alles Gute.
Liebe Grüsse
Ruth und Theo aus Feuerthalen, Meister´s B&B
Reisen bildet. Von Reisen lesen ebenso! Habe über Rodins «Die Bürger von Calais» – und auch den Eurotunnel – nachgelesen und bin gespannt auf die nächsten Trigger.