Drei Sonntage im Herbst

Drei Sonntage im Herbst

Sonntage sind leere Tage. Leere Tage sind wie fliessendes Wasser. Ich lasse mich treiben, wohin das Wasser mich trägt. Oft nutze ich diese „floating time“, um zu schreiben. Noch vor fünf Jahren waren Sonntage meine strengsten Arbeitstage. Oft stand ich schon vor dem Morgengrauen im Betrieb, begutachtete die Räumlichkeiten, studierte Arbeitspläne und schaute in die Wetterkarten. Ich liebte die strengen Sonntage mit den vielen Gästen. Und jetzt liebe ich deren Leere.

13. November – Farben im Rausch

Es ist jedes Jahr dasselbe. Mit den letzten welkenden, lila-orange gefärbten Echinacea Blüten, den kugelförmigen Samenständen des Sonnenhuts naht der späte Herbst. Noch Tage davor hatte er meinen Garten in eine farbenprächtige Landschaft verzaubert. Dafür blüht jetzt der nach Jasmin duftende Strauch, „Sieben Söhne des Himmels“. Erst spät im Oktober hüllt er die Umgebung mit seinem unwiderstehlichen Parfüm ein. Bienen und Schmetterlinge lieben diesen letzten Ruheort und die versiegende Nahrungsquelle. Danach wandeln sich die zarten, weissen Blüten in rostrote Samenstände.

Alles scheint zu verdorren, vom Jahresende angezogen, zu verblühen und verglühen. Der Nebel zieht auf, die Nächte werden länger, die Tage grauer und leiser. Unsere Welt spielt verrückt. Sorgen um Kriege, Hungersnöte und Klimaveränderungen trüben unser Leben. Auch im Verwandten- und Bekanntenkreis geschieht Trauriges. Loslassen, verabschieden. Wo die Kraft holen, wie sich und andere trösten?

Es ist jedes Jahr dasselbe und doch jedes Jahr ganz anders. Laub bedeckt den Boden, Nebelschwaden netzen die Erde und die darauf ruhenden Blätter. Sie glänzen im Scheinwerferlicht der Sonnenstrahlen. Das Nass auf den braunen Buchenblättern widerspiegelt den blauen Himmel. Nicht mehr braun, vermodernd liegen sie da, sondern sie bündeln die Lichter des Waldes und glänzen golden. Und mittendrin entdecke ich den Zauberknopf, rot mit weissen Perlen bespickt, sitzt ein Fliegenpilz im grünen Moos. Dieser einzelne Pilz, so unversehrt und von der Natur zur Perfektion geformt, ist Trost, Quelle der Freude und Hoffnung. Es ist so heilsam, die Sinne weit zu öffnen.

Ich sitze mit Peppina an einem Lieblingsplätzchen im Wald über dem Orserental. Durch die sonntägliche Stille dringen einzelne Vogelrufe. Auch wenn ich nicht mehr alle höre, sehe ich die aufmerksam gespitzten Ohren des jungen Hundes.

Jedes Jahr verblüfft uns, spät im Jahr, noch einmal eine überraschende Farbenpracht, zu einer Zeit wenn wir längst die Vergänglichkeit akzeptiert haben. Nicht umsonst nennen wir es den goldenen Herbst.

20. November – Mein Kumpel und ich

Sonntagmorgen, acht Uhr. Der Novembertag schleicht sympathisch am Café Fenster vorbei. Die wenigen Bett Geflüchteten, meist von Mensch- und Tierkumpels begleitet und vorwärts gedrängt, blicken zum spannenden Wolkentheater hoch und lächeln. Bedrohliche Gebilde schieben sich über die Giebel der Altstadthäuser am Fronwagplatz. Helle, lustige Wölkchen tanzen dazwischen und sorgen für Dramatik und Leichtigkeit zugleich.  Mensch und Himmel. Sie lächeln sich zu. Dieser Sonntagmorgen ist ein freundlicher. 

Mein Kumpel und ich sitzen im Café vor dem Fenster. Wir blicken hinaus. Ich zu den Menschen und Peppina verfolgt die Tauben und Spatzen auf ihrer Jagd nach samstagabendlichen Futterresten. Wir sind ein gutes Team, mein Hund und ich. Sie liegt eingerollt zwischen meinen Füssen in Körperkontakt. Erst hebt sich eine Ohrenspitze, dann erbeben die Nüstern, die Augen schielen hinaus während ihre Muskeln entspannt meine Zehen wärmen. 

27. November – 1. Advent im Dummytraining

Noch ein Sonntagmorgen im Café. Meine Hände und Füsse kribbeln und fühlen sich noch immer klamm an. Erst langsam tauen sie nach dem zweistündigen Hundetraining auf. Unsere Trainerin startete heute früh um acht Uhr spontan einen Appell, ob wir Lust auf ein Treffen hätten. Mein 1. Advent war noch frisch und leer. Ich sagte freudig zu. Peppinas Begeisterung war ich auch ohne Rückfrage gewiss. Schnell hatten wir Leine und Leckerli gepackt. Das steile Trainingsgelände war nahe dem alten Schweizer Zoll in Neuhausen, feucht, ungemäht, leicht sumpfig und zwischen zwei Waldrändern gelegen. Die vier Hunde mussten abwechslungsweise die geworfenen Dummys (sie stellen tote Enten dar) mit Hilfe von Handzeichen und Pfiffen apportieren. Als Retrieverhund ist Peppina ein begeisterter Apportierer und für mich ist diese gemeinsame Arbeit in der Natur erfüllend und freudig. An diesem kühlen Sonntagmorgen brillieren die Hunde um die Wette. Peppina ist noch jung und ungestüm, aber sehr eifrig. Zielgerichtet schiesst sie den Hang hinauf, gräbt schnüffelnd die Nase ins Gras auf der Suche nach dem Stoffknebel und bringt ihn siegesbewusst zu mir zurück. Pure Freude und Stolz für uns beide.

Jetzt liegt sie unter dem Tisch, zufrieden und erschöpft, während ich aufwärme und einen wunderbar geschäumten Cappuccino geniesse.

Das waren meine drei Sonntage, gefüllt mit kleinen Abenteuern, mit Betrachtungen und Gefühlen, die man oft nur in der Leere erlebt. Von solchen besonderen Tagen wollte ich erzählen.

Ein Gedanke zu „Drei Sonntage im Herbst

  • Dezember 1, 2022 um 9:50 am Uhr
    Permalink

    … und ich war mit dabei!
    Danke fürs Teilhabenlassen.
    Genau solche Momente haben mich bewogen, doch noch einmal die Mühen eines weiteren Wurfs auf mich zu nehmen, die gleiche Paarung Vicky x Jack.

    Antwort

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