Beim Aufräumen meines Laptops, eine traditionelle Pflicht im Januar, entdecke ich diese letzte unveröffentlichte Geschichte. Eine Sehnsuchtsgeschichte von meiner Reise im vergangenen Mai in die Camargue. Ich lese sie erneut und bin erfüllt mit Licht, Farben und Wärme.
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Mai 2023. Bald winke ich Adieu auf meiner FAHRT INS BLAUE. Noch kann ich dem Himmel und dem Meer frönen, bevor ich nordwärts fahre. Das Erlebnis BLAU ist hier an der CÔTE BLEUE in Sichtweite von Marseille, zu meinem Höhepunkt geworden.
Heute morgen klapperte ich drei Campingplätze an der Küste ab, bis ich den schönsten Platz ergatterte. Aus der offenen Schiebetüre blicke ich jetzt zu zwei Seiten auf das aufbrausende Meer. Der Mistral bläst in starken Böen über den Platz, wirbelt den feinen Sand einmal mehr herum, die windgekrümmten Pinien beugen sich und tanzen im Sturm. Aber die Sonne scheint unerbittlich. Wind bläst im Hirn so manches durcheinander, nicht nur Abfall am Strand, er sortiert neu, entstaubt und belebt. Spüre ich den Wind im Gesicht, so fühle ich mich lebendig. Jetzt ist es Abend geworden. Wanderer, die am Zaun meines Platzes, neidische Blicke werfend, vorbeischlenderten, sind heimgegangen. Trockende Grashalme glitzern noch in der Abendsonne, schillernde Schaumkronen rennen im tiefblauen Wasser vom Ufer weg. Der starke Wind wirbelt sie davon.







Ich habe sehr viel BLAU gesehen auf dieser «balade du sud», aber für all die Farbtöne, die ich hier im Meer beobachte, gibt es gar nicht genug Wörter. Alle Grün-, Türkis-, Blau-, Silber-, und Marine Schattierungen vermischen sich auf der Farbpalette zu immer weiteren Färbungen. An der CÔTE BLEUE wird das BLEU zelebriert.
Nach einer mehrtägigen, abwechslungsreichen Anfahrt über Murten, Valence, Orange und Avignon stets dem Regen entfliehend, bin ich in der Camargue gelandet. Es war kein «coup de foudre» – Liebe auf den ersten Blick. Aber auf den zweiten. Von Avignon her fuhr ich erst der Rhône und dann der Petite Rhône entlang bis ich in Les Saintes Maries de la Mer ankam. Alles war flach, sehr flach, grau grünliches Gestrüpp säumte die Strassen, dazwischen weite Wasserflächen neben grossen noch gefluteten Reisfeldern. Wolken zogen über den endlos blauen Himmel. Nichts war falsch, aber anders als erwartet. Akklimatisieren nennt man das. Ich verstand nicht, was ich da sah. Und was ich verstanden hätte, sah ich nicht. Ich suchte die Pferde und Stiere, die Flamingos und all die Reiher.
In Les Saintes Maries de la mer besuchte ich einen Stierkampf mit Peppina. Fasziniert, aber auch verunsichert, sah ich diesem Spiel mit den Stieren zu und versuchte zu verstehen, dass es dabei nicht ums Töten ging, sondern um einen Wettstreit. Später besuchte ich eine Vorführung mit Erklärungen und begriff, dass es um sehr viel Tradition ging und um die Erhaltung dieser alten, kleinen und agilen Rasse des Camarguestieres. Sie werden nur für die „Course aux toreaux“ in den vielen grossen und kleinen Arenen gezüchtet. Wenig ist vergleichbar mit spanischen Stierkämpfen, denn hier geht es um Spiel und Spass. Die meist weiss gekleideten „Raseteure“ reizen einerseits die Stiere durch Bewegungen und katapultieren sich akrobatisch und halsbrecherisch aus der Arena. Klar gibt es Verletzungen aber wenige. Die Stars sind die Stiere. Sie werden sogar auf Denkmälern gehuldigt.



Spannend waren auch die Zusammenhänge von gefluteten Feldern, Reisplantagen mit darauffolgendem Weizenanbau, den Salinen, Kanälen, Flamingos, Algen und Wasserkrebsen. Alles hängt vom Salzgehalt des Wassers ab. Mit Hilfe von jahrhundertalten Kanalsystemen wird Süsswasser aus der Petite Rhône geleitet und zur Überflutung der Felder genutzt. Alles wird reguliert. So ziehen Flamingos in andere Felder, sobald der Salzanteil nicht mehr stimmt. Sobald der Salzgehalt sich verändert, gibt es die Krebse nicht mehr, denn sie sind wiederum abhängig von der Alge. Ich begann zu verstehen und zu sehen und letztendlich blieb ich drei Wochen fasziniert in der Gegend hängen.
Liebe Frau Verena Prager,
vielen Dank für den ‚aufgeräumten‘ Reisebericht.
Ich wünsche Ihnen noch ein gutes neues Jahr, und vor allem Gesundheit.
Liebe Grüße aus Blaubeuren
achim lehmann
Sehr schön, wie du die Camargue beschreibst, liebe Verena
Diese Landschaft, Menschen, Tiere und Pflanzen, die uns so fremd sind, uns aber im Innersten berühren, begeistern und ferne Sehnsüchte anklingen lassen. Kultur, Tradition und Brauchtum, die uns so fern und fremd sind, dass wir sie nur in enger Verbindung und Auseinandersetzung mit diesem Lebensraum, und auch dann nur annähernd verstehen können.
So entsteht der Reichtum, den wir vom Reisen nach Hause tragen.