In Zukunft werdet Ihr auch „Aktuelles über mich“ erfahren. Ich habe meinen Blog etwas angepasst und bin dran ihn klarer zu strukturieren. Schon nur deshalb, weil ich mich so aufs Schreiben freue in den nächsten Monaten. „Wo gehts denn jetzt hin?“ fragt Ihr Euch. Auflösung folgt mit etwas Geduld.
Fette, schwere Schneeflocken taumeln vom aschgrauen Gewölbe über mir. Ich friere. Seit gestern gehören Wollkappe mit Wuschelpompon und Wickelschal zum Pflicht-Outfit. Kalt und ungemütlich ist es geworden, obwohl mein Gartenherz ja auch echte Dankbarkeit empfindet. „Schnee, du hättest aber auch noch warten können bis nach meiner Abreise.“ Unsere Natur allerdings ist auf wechselnde Jahreszeiten ausgelegt. Der Herbst ist schön und kurz. Aber ehrlich gesagt, fand ich den endlos währenden Sommer einfach wunderbar, belebend, heilend und schlicht himmelhochjauchzend. Er beglückte meine etwas ramponierte Seele. Ich konnte in der Erde buddeln bis an meinen Händen Schwielen wuchsen. Ich schnitt Blumen und Kräuter bis alle Vasen voll waren. Ich genoss die Fülle an Feigen, Mirabellen, Kartoffeln, Erdbeeren, Zitronen und Zucchetti. Alles gedieh im Überfluss.
Der Wind hat nachgelassen, alles ist ruhig, aber kühl am heutigen letzten Morgen auf Amrum. Wo ist der angesagte Regen, über den seit Tagen alle reden? Ich höre kein Rauschen und Plätschern. Die Insulaner und Hartgesottenen freuen sich mit der Natur auf das langersehnte Nass. Einige Camper hingegen schwanken, ob sie frühzeitig abreisen sollten oder doch ausharren in ihren Zelten. Für mich ist klar. Ich bleibe in meinem kuscheligen, trockenen „Daheim“. Luken dicht, Standheizung an und endlich all das tun, was ich bis anhin verschoben hatte. Viel lesen, viel schreiben, malen und ausgiebig Friesentee trinken. Und dabei dem Tribbeln, Tröpfeln oder Chräbbele auf dem Dach des Busses lauschen.
«Kuck-kuck, kuck-kuck». Jeden Morgen zieht es mich über den Bohlenweg durch die Dünen. Immer ist es anders. Mal paddeln Graugänse mit ihren Jungen, Gössel genannt, über den torfigen Teich, mal sind es Eiderenten und andere Male ist da gar nichts, ausser dem kleinen aufgeweckten Kaninchen. Heute verkündet einzig der Kuckuck seine Anwesenheit. Sein Gefieder ist so schmucklos, dass ich ihn nur mit den Ohren sehen kann. «Wo hast Du denn dein Ei gelegt?» frage ich ihn.
Auf und davon, raus und ganz weit weg. Ich wollte mich durchpusten lassen, einfach ich sein und treiben lassen. Dazu brauch ich nicht mehr als ein VW Camper mit dem bequemsten Bett der Welt unterm Sternen, oder Wolkenhimmel und ganz viel Weite rundherum. Seit zehn Tagen lebe ich in den Dünen auf dem Campingplatz von Amrum. Soll ich erst vom weiten, bewegten Himmel oder doch vom unendlichen Kniepsand erzählen?
DIE INSEL
Als ich vor einem Jahr mit der Familie auf Sylt Ferien machte, hörte ich immer wieder begeisterte Berichte über die Nachbarinsel, Amrum. Amrum ist eine Nordfriesische Insel und liegt im Wattenmeer der Nordsee. Sie ist geschützt von einem dicken, halbmondförmigen Sandstrand, dem breitesten, zusammenhängenden Sandstrand Europas. Die Schutzgebiete in der einmaligen Dünenlandschaft mit Vogelreservaten, den breiten und Kilometer langen weissen Stränden sind mein Wohnzimmer, der Blick durchs Fernglas mein TV Gerät, die Sonne meine Heizung und der Wind sorgt für Ordnung und Klarheit.
Morgens begrüssen mich süsse Kaninchen, bunte Fasanen, Sturm- und ganz schön grosse Heringsmöwen. Der Strandhafer, hält die Dünen zusammen und bewegt sich im kräftigen Wind, während der weisse Sand Muster in die Landschaft zaubert. Wie liebe ich diese Ruhe und absolute Stille. Das Gekreische der Möwen auf meinem Dach ist da willkommene Ausnahme.
Nach den heissen Tagen der ersten Woche hat sich jetzt das typische Nordseewetter eingelassen. Mit Kapuzenpulli spaziere ich morgens die zwei Kilometer über Holzstege zu meinem Latte Macchiato nach Wittdün. Die Bohlenwege durchziehen die Dünenlandschaft zur Schonung des Schutzgebietes. Überall stehen erklärende Tafeln zu Flora und Fauna. Mit meinem Fernglas ausgerüstet und viel Musse, beobachte ich die ersten Möwenkücken, die unter den Fittichen der aufmerksamen Eltern in den Sandkuhlen herumhüpfen. Es ist die Zeit der Jungtiere.
WATTWANDERUNG IN DER NACHT
«Da muss ich dabei sein!» dachte ich mir als ich über diese Nacht-Wattwanderung von Amrum zur Nachbarinsel Föhr las. Es war ein eindrücklicher Höhepunkt meiner ersten Woche. Die Exkursionen von Insel zu Insel dürfen nur unter kundiger Führung gemacht werden, denn die Gefahren sind gross.
Um zwei Uhr morgens brummte der Wecker. Erst musste ich den Bus fahrtüchtig machen, kurz frühstücken, warm anziehen und sechs Kilometer ans andere Ende der Insel nach Norddorf fahren. Um drei Uhr trafen sich siebzehn Abenteurer beim «Standläufer» Laden. Zum Glück hatte ich tags zuvor den Weg rekognosziert, denn die mondleere Nacht war gespengstig. Erst marschierten wir strammen Schrittes durch verschlafene Gassen. Flüstern war erlaubt. Wir waren andächtig einer Sonnenaufgang Prozession gleich unterwegs. Die erste Stunde führte durch Salzwiesen. Diese Felder werden unregelmässig von Sturmfluten überschwemmt und somit mit Salz getränkt. Das saftige Grün ist ein Paradies für speziell angepasste Pflanzen, einzigartige Insekten und Vögel. Sie haben gelernt mit dem Salzgehalt klar zu kommen. Wie sie dies tun, erklärte Dark Blome, unser kundiger Wattführer, ein Inselkind aus Amrum. Überhaupt erzählte er unglaublich viel Wissenswertes zu Natur und Kultur. Wir spürten die zwanzigjährige Erfahrung und die vielen Weiterbildungen, wie er immer wieder betonte.
Nach einer Stunde erreichten wir den Rand des Watts. «Schuhe aus und Hosen hochkrempeln», hiess es. Dark Blome erzählte über die Kräfte von Mond und Sonne, die für Ebbe und Flut verantwortlich sind und zeichnete einfache Karten über die Örtlichkeiten unserer Wanderung in den feuchten Sand. Wir wanderten barfuss weiter über feinen, nassen Sand auf ungewohnten Sandwellen. Meine Fusssohlen beklagten sich. Noch war es dunkel und doch erahnten wir den neuen Tag. Das Wolkenbild nahm erste rote Schimmer auf. «Dieser Wasserlauf nennt sich Priel», erklärte Dark Blome, «Das Wasser bleibt bei Ebbe darin liegen. Bei abziehenden oder einfliessenden Gezeiten können diese jedoch zu reissenden Flüssen werden. Seid vorsichtig und nicht übermütig.» Als das Wasser die Mitte Oberschenkel erreichte, hatten wir die Warnung verstanden. Alles war unheimlich und prickelnd. Bald kam die nächste Warnung. Wir sollten sehr vorsichtig gehen, denn in diesem Strandabschnitt graben sich Rasierklingen- scharfe Austern im Sand ein, so dass deren Muschelrand kaum sichtbar ist und tiefe Schnittwunden verursachen kann. «Schaut auf den Boden und bleibt stehen wenn ihr die Wolken betrachten wollt.» Es sind importierte pazifische Austern, denn die Europäischen seien leider ausgestorben. Ein willkommener Zuzüger.
Die Wanderung zieht sich, die Füsse ächzen der ungewohnten Bewegungen wegen. Die Küste von Föhr ist nah und der Sonnenaufgang zwischen den Inseln Sylt, Föhr und Amrum sehr eindrücklich. Die unendliche Weite, der Himmel und die Stille bleiben unvergesslich. Wir wandern, sprechen wenig, betrachten die Küsten und staunen. So ein schöner Tagesbeginn.
Nach dreieinhalb Stunden erreichen wir das Ziel. Ein Bus fährt uns nach Wiek, dem hübschen Hauptort von Föhr, wo auch die Fähre nach Amrum zurückfährt.
2. Tag von Hann. Münden an die Nordsee, St. Peter Ording 4./5. Juni
Um sechs Uhr verlasse ich heute meinen Schlafort in Hann. Münden. Ich habe herrlich geschlafen und fühle mich fit für die weiteren 400 Kilometer. Die Autobahn von Kassel über Hamburg nach Heide ist leer, sehr angenehm, das Wetter freundlich. Eine easy Reise mit einigen Stopps an Autobahnraststätten. Tatsächlich ist das Angebot zum Teil sehr fein, sogar mit Latte Macchiato, was mein Herz höher schlagen lässt. Hörbücher, Radio und Musik unterhalten mich auf der weiten Fahrt.
Als ich in St. Peter Ording ankomme, lasse ich mich zuerst auf dem Campingplatz Biel direkt am Deich nieder. Ich bin müde, sehr müde von der zwei-tägigen Fahrt (900 km) und dennoch zieht es mich nochmals raus ans Meer.
Ein Abend im Nordseewind
Der Abend kündigte sich mit einer warmen Brise, verhangenem Himmel und schäumender Gischt an. Salz hing in der Luft. Die Stille war einzig unterbrochen vom schrillen Schrei einer Sturmmöwe. Genau so hatte ich mir die Nordseeküste vorgestellt. Weit, wild, windig, einfach Wetter.
In der auf Pfählen stehenden „Bar 54“ am Strand von St, Peter Ording (SPO für Eingeweihte) fühlte ich mich gleich angekommen oder soll ich sagen, aufgehoben. Ein Hauch von Güterhof wohl – mit guter Musik. Die aufsteigenden Tränen der Rührung überraschten mich dennoch. Und dann auch wieder nicht, denn noch immer hab ich etwas nah am Wasser gebaut. Übrigens eine sehr passende Redewendung. Die Erschöpfung der letzten vielen Monate hat Spuren hinterlassen.
Ich setzte mich zu einer jungen Frau, nachdem ich mich sorgfältig nach dem passenden Platz umgeschaut hatte. Die hölzerne Terrasse über dem aufgewühlten Meer war mässig besetzt, aber sehr stimmungsvoll.
Sie stellte sich als Mirjam aus Köln vor. Schon bald waren wir in ein tiefes Gespräch vertieft. Obwohl noch jung, schien sie viel Prägendes erlebt zu haben. Was ihr geholfen hätte ein Burnout und Depression zu überwinden und warum sie heute so zufrieden, positiv und stark wirke, wollte ich erfahren. Nach einem Jobwechsel sei sie nun im Aussendienst für eine Automarke tätig und reise unter der Woche von Stadt zu Stadt, schlafe in Hotels und fühle sich dabei einfach sehr glücklich und frei in ihrer Zeiteinteilung. Im Auto sitzen und beruflich durchs schöne Deutschland von Leipzig bis nach Bayern runterfahren. Auch das kann bereichernd sein, wie ich lerne.
Auch habe sie gelernt sich in schwierigen Zeiten an beglückende Momente zu erinnern. Nicht nur erinnern, sondern sie versetze sich richtiggehend hinein und zaubere diese Emotionen so lange herauf bis sie in die damaligen Glücksmomente schlüpfe. Beim Erzählen leuchten ihre braunen Augen, sie strahlt und ich erkenne, dass sie etwas Wichtiges für sich gefunden hat.
Mirjam und ich kennen uns nicht und wir werden uns wohl kaum je wieder begegnen. Deshalb entsteht das Gefühl, dass es nichts gibt, was peinlich ist oder später immer wieder erwähnt würde. Ich schätze diese Zufalls-Gespräche, weil sie so offen und frei sind, wir lassen in unser Inneres blicken, was wir im angestammten Umfeld tunlichst vermeiden. Das fühlt sich einfach gut an.
Auf früheren Reisen war ich gerne allein, denn in meinem Berufsalltag hatte ich täglich intensivst mit vielen, sehr unterschiedlichen Menschen zu tun. Das bringt die Arbeit in der Dienstleistung mit sich. Jetzt aber sind meine Bedürfnisse anders. Ich freue mich Menschen kennenzulernen und fremde Geschichten, Erfahrungen und Meinungen zu hören. Sie bereichern ungeheuer meinen neuen Lebensabschnitt.
Ein letzter Sack mit Regenjacke, -schirm und Stiefeln noch. Alles muss rein in den Bus. Nun ist der VW Camper bereit für meine nächsten Abenteuerferien. Erneut habe ich mit einem Freund Haus gegen VW Bus getauscht und plane die Nordsee zu erobern. Während die frühen Sonnenstrahlen zum Abschied meine blütenreichen Beete kitzeln, werfe ich etwas wehmütig einen letzten Blick auf meinen Garten. Heute will ich früh weg – die Reise ist weit. «Und tschüss», whatsappe ich meinen Töchtern mit dem selbsterklärenden Foto in der offenen Autotür stehend und dem entsprechenden Winke-Emoji.
Vogelgezwitscher begrüsst mich an diesem verschlafenen Samstagmorgen auf den noch leeren Strassen durchs Merishauser Tal nach Bargen rauf und wieder runter Richtung Autobahn A81 nach Stuttgart und Würzburg.
In den Tälern hinter Bargen hängt zum Teil zäher Morgennebel über den Dörfern. Einzelne Kirchtürme «güggslen» neugierig hervor, während die Bauernhäuser noch im Dunst verborgen bleiben. Nicht mehr lange, denn gleich verschmelzen die gelbgrünen Weizen- und bläulichen Gerstenfelder mit der pastellenen Landschaft. Die Sonnenstrahlen schiessen Sternenfunken in die Tautropfen. Märchenhaft muten sie an, wie Diamanten auf einem Prinzessinnenschleier? Unschuldig und bereit für alles, was das Leben zu bieten hat. Auch ich bin bereit und fühle mich abenteuerlich jung. Eine allein reisende Frau im Camper treffe ich selten an und ernte jeweils Bewunderung. Streicheleinheiten auch dieser Art tun gut.
Nach drei Stunden Fahrt bin ich in Würzburg angekommen. Schon einmal hielt ich hier auf der Durchfahrt (damals nach Berlin) und war entzückt. Ein wunderbar romantisches und sehr lebendiges Städtchen. Die alte steinerne Brücke über den Main ist ein Treffpunkt für alle. Heute sitze ich im Café «Brückenbäck» mit kleiner Terrasse. Die deutsche Frühstückskultur wird hier aufs Eindrücklickste für Aug und Nase zelebriert. Samstag morgen und alle Tischchen sind üppig belegt mit allerlei hübsch angerichteten Eierspeisen, gesunden Müslis, auserlesenen Brötchen, Säften und Prosecco. Eine Augenweide für hungrige Bewohner und Durchreisende zugleich. Ich treffe zwei einheimische Künstlerinnen, mit denen ich eine herzliche Stunde verplaudere. Es sind die kleinen Begegnungen, die ich so sehr geniesse. Wir erzählen vom Leben, von den Hürden und Freuden und einmal mehr staune ich, wie bewundernswert jemand mit einer sehr einschränkenden Behinderung positiv und freudig durchs Leben geht. Ich will diese Reise den Geschichten von Zufallsbekanntschaften widmen. Sie erfüllen einem mit Bewunderung, Anteilnahme und Weisheiten für das eigene Leben. Aber mehr darüber in einem nächsten Beitrag.
Würzburg ist eingehüllt in eine Lindenblüten-Duftwolke. Verzaubert besuche ich auf Empfehlung von Gitta und Evelyn die kunstvoll angelegten Hofgärten der Residenz Würzburg und das kleine Lusampärkchen neben der Neumünsterkirche. Sie ist Gedenkstätte von Walther von der Vogelweide, dem mittelalterlichen deutschsprachigen Lyriker.
Erfrischt und bereichert fahre ich noch ein paar Stunden weiter und gelange nördlich von Kassel durch ein dichtes, hügeliges Waldgebiet zu einem Städtchen mit vielen wunderbaren Fachwerkgebäuden, Brücken und einer malerischen Innenstadt. In Hann. Münden vereinen sich die Flüsse Werra und Fulda theatralisch zur Weser. Die Drei-Flüsse-Stadt ist wunderschön gelegen. So ist auch mein Schlafort auf einer Halbinsel zwischen den Flüssen. Es rauscht laut und beruhigend. Ein einfacher Campingplatz mitten in der Stadt.
Sowohl Würzburg als auch Hann. Münden sind lohnenswerte und überraschende Entdeckungen auf dieser langen Reise an die Nordsee.
Liebe Freunde und Familie Das ist mein letztes Interview zum Thema „Güterhof im 2017“. Es ist im Jahresrückblick vom Schaffhauser Fernsehen das erste Interview. Also am Anfang schauen. Nach den ersten herzlichen und positiven Feedbacks habe ich es nun auch geschaut ? und bin sogar sehr zufrieden damit. Auf diesem Weg herzliche Grüsse und nur das Beste für diese Festtage. http://shf.ch/index.php?spezialsendungen
Mit Konfetti bunt besprenkelt und gefühllosen Fingerspitzen, kehrte ich nach drei Stunden Zibelemärit ins Hotel zum Frühstück zurück. Der Zug hatte mich schon am Sonntag nach Bern gebracht, damit ich mit den Einheimischen dort sein konnte. Jedes Jahr am letzten Montag im November verkaufen die Bauern und Händler der Region Bern und Jura ihre kunstvoll geflochtenen Zwiebelzöpfe und dies bereits ab vier Uhr morgens.
Bei der alten Oper würde ich mich gerne vor historischer Kulisse in die wärmende Abendsonne zum Aperol spritz setzen. Das Restaurant mit weiss gedeckten Tischen wäre genau das Richtige. Aber alles ist besetzt. Nach erfolgreicher Shoppingtour treffen sich hier die Reichen und Schönen. Die edlen Papiertüten sind deren Zeuge. Der Ort ist wirklich traumhaft. Ich setz mich auf den angrenzenden Fenstersims. „Man darf hier nicht sitzen. Es ist ein Schaufenster.“ fuchtelt die hochhackige Boutiqueangestellte vor meinem Gesicht herum. Ich verlasse den Ort kommentarlos. Nicht missmutig, sondern einfach nachdenklich, denn wenige Momente zuvor hatte ich den krassen Kontrast dazu erlebt.
Wie im letzten Beitrag bereits erwähnt, bin ich zur Frankfurter Buchmesse angereist. Mein Hotel liegt beim Bahnhof. Alles in Gehdistanz. Dass ich mich gleich zwischen zwei Baustellen und mitten ins Rotlichtviertel einquartiert habe, entpuppt sich als wahrlich ungünstig.
Vom Bahnhof her kommend, vermeide ich die Strassenseiten, wo jede Menge herumliegender Schlafsäcke mein Blick anzieht. Verfilzte Haarbüschel schauen heraus. Faltige, vernarbte und meist dunkle Köpfe starren ins Leere. Dreck oder Hautfarbe? Man sieht es nicht. Aus ihren Gesichtern spricht das pure Elend. Alkohol, Drogen, Armut und Obdachlosigkeit sind die Ursachen. Schon lange habe ich in Europa keine solche Not mehr gerochen und gesehen. An jeder Ecke, in Unterführungen, vor Läden, Einfahrten und Türen liegen Bündel von Menschen in Decken gewickelt unter geöffneten Koffern, die zum Dach umfunktioniert sind. Ihr Hab und Gut liegt in ausgedienten Kinderwagen. Ich folge der Kaiserstrasse Richtung Stadtmitte.
Hier zwischen Boutiquen und Restaurants zeigt sich mir das elendeste aller Bilder. Es ist ein Wesen, hager, gebeugt, eine zerfetzte Wolldecke hinter sich her schleppend. Als die mit Urin und Kot verschmierte Hülle aufgeht, entblösst sich der nackte ebenfalls mit Kot verdreckte Hinterteil. Ekel, Übelkeit und grünes Entsetzen befällt mich. Ich gehe weiter, denn ich weiss nicht was ich denken oder tun soll. Das Traurige ist, dass es kein Einzelschicksal ist hier am Bahnhof Frankfurt.
Bei meinen letzten Reisen durch Deutschland habe ich viele bettelnde Menschen in den Innenstädten erlebt. Romas, Drogenopfer, Alte, Behinderte. Sie sitzen, stehen, humpeln und strecken die Hände aus. Sie leiden. Und dann steh ich hilflos da und weiss nicht was ich denken soll. Deutschland ist ein wohlhabendes Land. Wo ist die Hilfe.
Ich suche auf diesen Reisen immer wieder nach meiner persönlichen Haltung. Fülle ich die bettelnde Hand? Womit? Geld? Was tut die Politik? Mich interessiert wie befreundete Deutsche damit umgehen. Und wie verhält es sich bei uns in der Schweiz? Wo übernehme ich Verantwortung? Ich merke, dass ich kein Held bin und überfordert bin mit diesem Elend, das in unseren Ländern nicht sein sollte.
Der Buchmesse wegen reise ich nach Frankfurt. Dass ich dabei eine spannende Stadt entdecke, erhöht mein Vergnügen. Gleich nach der Ankunft zieht es mich vom Bahnhof her der Kaiserstrasse entlang zur Stadtmitte hin. Vom Rotlicht Milieu zur Shoppingmeile. Ich schlendere im Herbstlicht an historischen Häusern aus der Gründerzeit des 19. Jahrhunderts vorbei, die sich in der glitzernden, viel gepriesenen Skyline wiederspiegeln.
Verkehrsfreie Alleen und grosszügige Plätze laden Touristen, Bewohner, Geschäftsleute und Familien gleichen teils ein, ihre Zeit hier zu verbringen. Bunt sind die Platanen an der Hauptwache gefärbt. Die Boulevard Cafés sind voll besetzt. Virtuos spielt ein Pianist auf dem rollbaren weissen Flügel, der mit angebauten Lautsprechern die nötige Aufmerksamkeit einfordert. Im zur Kasse umfunktionierten Hut klingen kräftig die Münzen. Klassik am Nachmittag zum Bummeln. Herrlich unbeschwert. Eigentlich wollte ich auf den Main Tower zur tollsten Aussicht fahren, aber die Warteschlange vergraulte mich. Und so begnüge ich mich mit der Terrasse im obersten Stock der Galeria Kaufhof an der Hautwache.
Mein Buchmessetag beginnt mit einem erneuten Spaziergang in die Stadt, die in herbstliches Sonnenlicht mit einzelnen Nebelschwaden getaucht ist. Noch sind nur Einheimische unterwegs. Sie joggen, walken und gehen Gassi der Promenade am Mainufer entlang. Noch schnell ein schönes Frühstück und dann gehts ab zur Buchmesse.
Vom Bahnhof her spaziere ich zu Fuss zum Messegelände. Laut Homepage ist die Frankfurter Buchmesse der weltgrösste Event der Publishing-Welt. Samstag und Sonntag ist er für das gemeine Fuss- sprich Lesevolk geöffnet und so übergebe ich mich dem Zug der Masse von Menschen, die dem Eingang zuströmen. Einmal mehr staune ich über die Menge der Bücher und über die Mischung der Besucher. Wie schon vor fünf Jahren, freut es mich, so viele Jugendliche und junge Erwachsene zu sehen. Viele sind verkleidet und tragen fantasievolle Kostüme ihren Bücher-, Spielfiguren und Avataren entsprechend. Sie versammeln sich an Ständen, auf dem Hauptplatz und streifen durch die Hallen. Die Frage, die ich höre, ist: „Stören sie die Ernsthaftigkeit einer Buchmesse?“ Mir gefällt diese Vielfalt, sehr sogar, denn hier spüre ich eine Begeisterung für das Buch. Viele Autoren lesen und signieren, Verlage präsentieren an aufwendig gestalteten Ständen. Man ist mitten in der Lust am Lesen und Schreiben. Das Alter schliesst keinen aus.
Überall stehen und sitzen Interessierte, es wird politisch diskutiert, sozial abgehandelt, über Persönliches berichtet und dies meist vor kleinem Publikum an den Verlagsständen. Fans jeden Alters stehen stundenlang quer durch ganze Hallen in langen Reihen an, um ein Autogramm ins gekaufte Buch zu ergattern. Als ich für eine Crêpes anstehe, höre ich einen Jungen in Ritterrüstung an der Nebenreihe: „Alle stehen an, aber wisst Ihr eigentlich wofür?“