Ich sitze auf derselben Veranda und trinke denselben frischen Zitronenmelissen Morgentee, wie im Jahr nach meinem sechzigsten Geburtstag, als ich zum letzten Mal hier war. Die australische Sonne versprüht heute, genau wie damals ihre stechende Wärme. Kein Dunst trübt den Himmel. Stille, einzig von einem Flugzeug und Vogelklängen gestört, breitet sich über das weite Land. Satte Weiden nähren die herumwandernden Schafe, gefrässigen Kängurus und Kaninchen. Alles ist so wie es vor fünf, vor zehn oder noch mehr Jahren war.
Sonntagsausflug mit Freunden zur „Edgar Mission, sanctuary for rescued farm animals“. Es war Australia Day, ein strahlend schöner Sommertag. Auf diesem non-profit Hof kümmern sich Pam Ahern mit ihrem Team um verwahrloste, abgeschobene und gequälte Farmtiere. Und wir wollten Miles besuchen. Mit kleinem Video
Jeden Winter findet meine Schwester Barbara ein frischgeborenes, verlassenes Schäflein auf der Weide, das sie in der warmen Küche grosszieht. Vor dreissig Jahren war es „Schnugg“, der frei im Haus herumlief (und frei auch alles fallen liess) der mit der Flasche grossgezogen wurde. Diesen Winter war es „Miles“, dessen Mutter in den kalten Winternächten gestorben war. Sechs Wochen lang wurde Miles Tag und Nacht geschöppelet, warm gehalten und nahm am Familienleben teil. Als meine Schwester jedoch ins Ausland wollte, musste sie einen Ort finden, der sich um Miles kümmern würde. Und so fand sie die Edgar Mission, eine Non Profit Organisation. Pam Ahern, die Gründerin und Leiterin ist eine sportliche, junge Frau, die mit Leidenschaft seit zehn Jahren ihrem Werk verpflichtet ist. Sie hat eine Farm gekauft und auf 60 acres bis jetzt über 3000 Tieren geholfen. Zurzeit leben 300 Rinder, Schweine, Schafe, Pferde, Geissen, Truthähne, Hühner, Enten und Kaninchen auf der Farm. Edgar Allen Pig, war das erste Schwein, das sie aus einer Schweinemästerei kaufte. Es spielte später auch im Film „Babe“ mit und war für viele Jahre das Aushängeschild dieser Mission und grosser Liebling aller. Hierher brachte Barbara ihren Miles vor einem halben Jahre begleitet mit einer grosszügigen Spende. Nun wollten wir das Schaf besuchen und uns auf einer Führung alles zeigen lassen. Diese Stiftung wird von der Tageszeitung „Herold Sun“ mit beinahe wöchentlichen Berichten wohlwollend unterstützt und somit einem breiteren Publikum bekannt gemacht.
www.edgarsmission.org.au
Hühner aus Käfighaltung, in Australien noch erlaubt
So wie das Geisslein, Cappuccino, hat jedes der 300 Tiere einen Namen und eine Geschichte, die auf der Führung mit Herz erzählt wird. Cappuccino, das Geisslein, steht gerne am Farmeingang und lässt sich ausgiebig kraulen. Viele Tiere benötigen täglich medizinische Betreuung und aufwändige Pflege. Nach so einer persönlichen Führung schmilz das Herz und man spendet gerne für den Fortbestand dieses Sanctuary’s.
Hope, das glückliche Schwein, das an Weihnachten von einer Schweinefarm floh
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Humphrey lebte auf den Strassen Melbournes bis es eingefangen wurdeMiles gehört jetzt zur HerdeAustralia DayDie Tiere haben Platz und viel Aufmerksamkeit.
Die Autoreise von Adelaide über Melbourne (Berichte folgen) nach Gisborne, brachte mich kurz vor Weihnachten zu meiner Schwester, die in die Hügel ausserhalb von Melbourne, Victoria, lebt.
Bundaleer vom Pond aus gesehen
Die Farm meiner Schwester ist eine wilde, dreissig-jährige, leidenschaftliche Geschichte. Hier auf dem weiten Land hat sie ihre Familie grossgezogen. Das massive Bluestone (Basalt) Haus beherbergt heute ein kleines Café, ein Therapiezentrum für Yoga und Massagen und ein Schönheitssalon, den ihre Schwiegertochter betreibt. Verstreut im Park sind noch kleine Cottages, die zum Teil vermietet sind und in einem davon wohnen wir.
Erzählen will ich die Geschichte über meine Zeit hier in Gisborne und vor allem über „mein Australien“. Ich bin so gerne hier, fühle mich so extrem wohl und angekommen. Alles andere scheint weit weg, obwohl ich es nicht missen möchte. Hier ist ein anderes Leben, in dem ich auch zuhause bin. Ist es vielleicht doch so, dass man verschiedene Leben leben könnte? Oft frage ich mich, was aus den anderen Leben geworden ist, für die ich mich nicht entschieden habe? „Nachtzug nach Lissabon“ von Pascal Mercier, inspirierte mich vor Jahren zu diesen Gedanken. Er schreibt: „Wenn es so ist, dass wir nur einen kleinen Teil von dem leben können, was in uns ist – was geschieht mit dem Rest?“ Man trifft immer wieder einschneidende Entscheidungen, die nur den einen Weg zulassen. Ist der Weg vorbestimmt, welche Entscheidungen man auch immer trifft? Und als Konsequenz stellt sich die Frage: ist das überhaupt wichtig, wo der Weg bestimmt wird? Australien ist eines der restlichen Leben, das in mir ist.
Am Dam auf der Farm
Meine erste Reise mit meinen Töchtern war 1984 und wir blieben sechs Monate. Während Anna ihr Pfüsi, ein kleines weisses Kätzchen liebte, sass Linda meist mit den Farmern auf den Traktoren. Sie half beim Zusammentreiben der kleinen Schafherde, ging mit ihrem Cousin baden und zum Yabby fischen (kleine Süsswasser-Krebse) in den dams. Bundaleer ist mehr eine Hobbyfarm mit Pferden, Rindern, Hühnern und Enten, Katzen und Hunden und soviel wilde Landschaft mit Hunderten von Kängurus, kreischenden Kakadus, Kookaburra (lachender Hans) und bimmelnden magpies (Elstern). Wer Australien liebt, kennt dieses sanfte Klingeln am Morgen. Die Natur ist satt, extrem, aufregend, gefährlich und immer voller Überraschungen.
Twelve Apostels on Great Ocean Road
Deshalb reise ich immer wieder nach Australien. In den letzten 30 Jahren war ich fast in jedem Winkel des Kontinents unterwegs und habe die grossen Veränderungen miterlebt. Heute heissen die Aborigines,indigineous people, Naturschutz ist zum Thema avanciert, Immigranten Fragen erhitzen die Gemüter und in der australischen Gastronomie hat sich viel Eigenständigkeit und Kreativität entwickelt. Ich war in Alice Springs im Roten Zentrum, wanderte um den Uluru (Ayers Rock), der heute wieder den Ureinwohnern gehört. Wir haben in einer kleinen Gruppe per Jeep die Wüste zu den schwer zugänglichen Kimberleys im Nordwesten und zu den Bungle Bungles durchquert. Vor dreissig Jahren waren wir mitunter die ersten Touristen in diesen einmaligen Gesteinsmassen. Ich habe viele Male unter bespiellos funkelnden Sternen, Planeten und Galaxien geschlafen. Ich schnorchelte im Barrier Reef, verzweifelte in der beklemmenden Feuchtigkeit des Regenwaldes im Daintree Nationalpark, reiste drei Tage und Nächte im Zug von Perth nach Adelaide, habe Tasmanien im Süden gesehen und nachts eierlegende Schildkröten auf Heron Island beobachtet. Auf dieser Reise habe ich ein Auto gemietet und bin von Adelaide nach Melbourne auf der great ocean road unterwegs gewesen.
Die treuen Farmarbeiter Les and John
Das Leben auf der Farm hat sich wenig verändert, die Bäume sind gewachsen, der Park rund ums Haus ist noch gepflegter, voller Blüten, duftender Sträucher und einheimischer Pflanzen. Es grasen weniger Tiere auf den Weiden, meine Schwester hat das Reiten aufgegeben, geblieben sind die wechselnden Hunde und die Sorgen ums Wetter.
Absolute Dürre mit Bedrohungen von Bushfeuern, wechseln sich mit regenreichen Jahren ab. Noch immer beobachte ich die vorbei hüpfenden Kängurus auf den zur Farm gehörenden, paddocks (Weiden für Tiere) und die scheuen Kaninchen, die den saftigen Gemüsegarten bevölkern. Zur Zeit sind die dams (Wasserlöcher) voll. Sie dienen den Tieren und dem Wässern des Gartens. Das unberechenbare Wetter ist eine tägliche Herausforderung hier in Victoria. Die Kälte vom Süden mit arktisch kalten Winden, die durch Mark und Bein gehen, gepaart gleichen Tags mit heissen, gefährlichen Wüstenwinden vom Norden her, charakterisieren das unerbittliche Klima. Ein tägliches Temperaturwechselbad, an das man sich mit Socken und Schals, T-Shirts und Sonnenhut besser gewöhnen sollte.
Das Cottage meiner Schwester
Gisborne ist ein Dorf auf dem Land, eine Autostunde entfernt von Melbourne und liegt in den Hügeln. Früher wohnten mehrheitlich Farmer hier. Die Veränderung kam mit dem freeway, der nun nach Gisborne führt und somit sind die Quartiere mit Pendlern gewaltig gewachsen. Wo früher Bush war, stehen heute viele prachtvolle Einfamilienhäuser mit Range Rover, Mercedes und Jeeps vor dem Haus. Die Grundstücke sind gross, die meist einstöckigen Häuser umrandet von einladenden Veranden, strahlen ländliche Gemütlichkeit aus. Die kleineren Cottages sind einfacher gebaut, aussen mit farbig bemalten weather boards (Holzbrettern), die Kamine aus Ziegelsteinen, die Dächer aus Wellblech von denen sich bestens das Regenwasser in Wassertanks als Trinkwasser sammeln lässt. Sie sind schlecht isoliert und nicht unterkellert. Socken und Bettflasche nicht vergessen. In den Städten hat sich eine neue Architektur entwickelt mit traditionellen australischen Merkmalen.
Der kleinste Kontinent ist auch in seiner Geschichte von gewaltigen Gegensätzen geprägt. Er war bereits vor 40’000 bewohnt, aber erst seit 250 Jahren von Weissen entdeckt und kolonialisiert. 1901 erst wurde das erste Parlament Australiens gegründet. In diesem Licht habe ich in dreissig Jahren „unterwegs“ Erfahrung, eine sehr lange und wichtige Zeitspanne erlebt.