Elend am Bahnhof Frankfurt

Elend am Bahnhof Frankfurt

Bei der alten Oper würde ich mich gerne vor historischer Kulisse in die wärmende Abendsonne zum Aperol spritz setzen. Das Restaurant mit weiss gedeckten Tischen wäre genau das Richtige. Aber alles ist besetzt. Nach erfolgreicher Shoppingtour treffen sich hier die Reichen und Schönen. Die edlen Papiertüten sind deren Zeuge. Der Ort ist wirklich traumhaft. Ich setz mich auf den angrenzenden Fenstersims. „Man darf hier nicht sitzen. Es ist ein Schaufenster.“ fuchtelt die hochhackige Boutiqueangestellte vor meinem Gesicht herum. Ich verlasse den Ort kommentarlos. Nicht missmutig, sondern einfach nachdenklich, denn wenige Momente zuvor hatte ich den krassen Kontrast dazu erlebt.

Wie im letzten Beitrag bereits erwähnt, bin ich zur Frankfurter Buchmesse angereist. Mein Hotel liegt beim Bahnhof. Alles in Gehdistanz. Dass ich mich gleich zwischen zwei Baustellen und mitten ins Rotlichtviertel einquartiert habe, entpuppt sich als wahrlich ungünstig.

Vom Bahnhof her kommend, vermeide ich die Strassenseiten, wo jede Menge herumliegender Schlafsäcke mein Blick anzieht. Verfilzte Haarbüschel schauen heraus. Faltige, vernarbte und meist dunkle Köpfe starren ins Leere. Dreck oder Hautfarbe? Man sieht es nicht. Aus ihren Gesichtern spricht das pure Elend. Alkohol, Drogen, Armut und Obdachlosigkeit sind die Ursachen. Schon lange habe ich in Europa keine solche Not mehr gerochen und gesehen. An jeder Ecke, in Unterführungen, vor Läden, Einfahrten und Türen liegen Bündel von Menschen in Decken gewickelt unter geöffneten Koffern, die zum Dach umfunktioniert sind. Ihr Hab und Gut liegt in ausgedienten Kinderwagen. Ich folge der Kaiserstrasse Richtung Stadtmitte.

Hier zwischen Boutiquen und Restaurants zeigt sich mir das elendeste aller Bilder. Es ist ein Wesen, hager, gebeugt, eine zerfetzte Wolldecke hinter sich her schleppend. Als die mit Urin und Kot verschmierte Hülle aufgeht, entblösst sich der nackte ebenfalls mit Kot verdreckte Hinterteil. Ekel, Übelkeit und grünes Entsetzen befällt mich. Ich gehe weiter, denn ich weiss nicht was ich denken oder tun soll. Das Traurige ist, dass es kein Einzelschicksal ist hier am Bahnhof Frankfurt.

Bei meinen letzten Reisen durch Deutschland habe ich viele bettelnde Menschen in den Innenstädten erlebt. Romas, Drogenopfer, Alte, Behinderte. Sie sitzen, stehen, humpeln und strecken die Hände aus. Sie leiden. Und dann steh ich hilflos da und weiss nicht was ich denken soll. Deutschland ist ein wohlhabendes Land. Wo ist die Hilfe.

Ich suche auf diesen Reisen immer wieder nach meiner persönlichen Haltung. Fülle ich die bettelnde Hand? Womit? Geld? Was tut die Politik? Mich interessiert wie befreundete Deutsche damit umgehen. Und wie verhält es sich bei uns in der Schweiz? Wo übernehme ich Verantwortung? Ich merke, dass ich kein Held bin und überfordert bin mit diesem Elend, das in unseren Ländern nicht sein sollte.

http://www.fr.de/frankfurt/obdachlose-in-frankfurt-zuflucht-im-frankfurter-hauptbahnhof-a-1251320

http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/hauptbahnhof-frankfurt-ist-heimat-fuer-obdachlose-und-bettler-14487246.html

Frankfurt und die Buchmesse

Frankfurt und die Buchmesse

Der Buchmesse wegen reise ich nach Frankfurt. Dass ich dabei eine spannende Stadt entdecke, erhöht mein Vergnügen. Gleich nach der Ankunft zieht es mich vom Bahnhof her der Kaiserstrasse entlang zur Stadtmitte hin.  Vom Rotlicht Milieu zur Shoppingmeile. Ich schlendere im Herbstlicht an historischen Häusern aus der Gründerzeit des 19. Jahrhunderts vorbei, die sich in der glitzernden, viel gepriesenen Skyline wiederspiegeln.

Verkehrsfreie Alleen und grosszügige Plätze laden Touristen, Bewohner, Geschäftsleute und Familien gleichen teils ein, ihre Zeit hier zu verbringen. Bunt sind die Platanen an der Hauptwache gefärbt. Die Boulevard Cafés sind voll besetzt. Virtuos spielt ein Pianist auf dem rollbaren weissen Flügel, der mit angebauten Lautsprechern die nötige Aufmerksamkeit einfordert. Im zur Kasse umfunktionierten Hut klingen kräftig die Münzen. Klassik am Nachmittag zum Bummeln. Herrlich unbeschwert. Eigentlich wollte ich auf den Main Tower zur tollsten Aussicht fahren, aber die Warteschlange vergraulte mich. Und so begnüge ich mich mit der Terrasse im obersten Stock der Galeria Kaufhof an der Hautwache.

Mein Buchmessetag beginnt mit einem erneuten Spaziergang in die Stadt, die in herbstliches Sonnenlicht mit einzelnen Nebelschwaden getaucht ist. Noch sind nur Einheimische unterwegs. Sie joggen, walken und gehen Gassi der Promenade am Mainufer entlang. Noch schnell ein schönes Frühstück und dann gehts ab zur Buchmesse.

Vom Bahnhof her spaziere ich zu Fuss zum Messegelände. Laut Homepage ist die Frankfurter Buchmesse der weltgrösste Event der Publishing-Welt. Samstag und Sonntag ist er für das gemeine Fuss- sprich Lesevolk geöffnet und so übergebe ich mich dem Zug der Masse von Menschen, die dem Eingang zuströmen. Einmal mehr staune ich über die Menge der Bücher und über die Mischung der Besucher. Wie schon vor fünf Jahren, freut es mich, so viele Jugendliche und junge Erwachsene zu sehen. Viele sind verkleidet und tragen fantasievolle Kostüme ihren Bücher-, Spielfiguren und Avataren entsprechend. Sie versammeln sich an Ständen, auf dem Hauptplatz und streifen durch die Hallen. Die Frage, die ich höre, ist: „Stören sie die Ernsthaftigkeit einer Buchmesse?“ Mir gefällt diese Vielfalt, sehr sogar, denn hier spüre ich eine Begeisterung für das Buch. Viele Autoren lesen und signieren, Verlage präsentieren an aufwendig gestalteten Ständen. Man ist mitten in der Lust am Lesen und Schreiben. Das Alter schliesst keinen aus. 

Überall stehen und sitzen Interessierte, es wird politisch diskutiert, sozial abgehandelt, über Persönliches berichtet und dies meist vor kleinem Publikum an den Verlagsständen. Fans jeden Alters stehen stundenlang quer durch ganze Hallen in langen Reihen an, um ein Autogramm ins gekaufte Buch zu ergattern.  Als ich für eine Crêpes anstehe, höre ich einen Jungen in Ritterrüstung an der Nebenreihe: „Alle stehen an, aber wisst Ihr eigentlich wofür?“