An den schönsten Frühling – Als meine Mutter starb

Leonie Prager-Kretz mit ihrem Hund Silo

Es war an einem späten Märztag vor vierzig Jahren als ich mittags aus dem Kantonspital Zürich kam und einige Zeit der Besinnung im Park suchte. Eben war meine Mutter gestorben.

Letztendlich auch friedlich war sie hinübergeleitet und ihre Seele war für mich sichtbar aus dem geöffneten Fenster entwichen. Ich war jung und noch nicht bereit ohne Mutter durchs Leben zu gehen. Dennoch waren wir alle froh, als diese lange schmerzvolle Zeit zu Ende war. Meine Mutter war an ihrer Alkoholsucht gestorben.

In jedem Leid liegt auch ein Trost. Es war der schönste Frühlingstag, den ich je so früh im Jahr erlebt hatte. Ich war erlöst in den Park gegangen und hatte jede Tulpe und Narzisse, Forsythie und Osterglocke in ihrer grellen, schreienden Farbe wahr genommen. Es war ein Frühlingstag, der mir als zwanzig-jährige Frau die Fülle und Pracht des keimenden Lebens demonstrierte. Nie habe ich den Duft und das Licht jenes Tages Ende März vergessen. Jedes Jahr habe ich die Blüten, die Sonne und die Intensität jenes Frühlings vermisst, denn es war ein früher, warmer Frühling im 1974.

Als ich am 1. März aus Australien heimkehrte und mich langsam ins hiesige Leben einfügte, waren die Tage schon lang, hell und klar. Warme Temperaturen hatten die Erde erwärmt. Noch war alles aufgeräumt und geordnet. Die Bäume kahl, die Felder leer, die Furchen gerade, die Feldwege begrenzt und in Reih und Glied schienen die Sträucher angeordnet. Ich erlebte die Landschaft so sauber, geregelt und ordentlich. Noch nie war ich in einen solch strahlenden Frühling heimgekehrt. Seit vierzig Jahren habe ich keinen Frühling wie den damaligen erlebt. Ich weiss es, denn ich messe jedes Jahr den Fortschritt der Vegetation an jenen Todestagen. Unvergessliche Bilder und Gerüche sind die Parameter für einen perfekten Frühling. Und dieses Jahr erleben wir so einen.